Schrei Aus Der Ferne
wirkte fast so, als hätte er darauf gewartet, sich darauf vorbereitet, seine Rolle gelernt. Die andere Seite derselben Münze.
Will bestand darauf, dass der Pflichtverteidiger gerufen wurde: ein ergrauender Exjournalist namens Matthew Oliver, der erst spät Jurist geworden war, und, wie Will vermutete, teilweise davon lebte, dass er pikante Informationen an seine ehemaligen Kollegen verkaufte. Olivers Gesicht war stark gerötet; die Haare, die er noch hatte, wallten ungeschnitten über den mit Schuppen übersäten Kragen seines abgetragenen Anzugs. Aber trotz seiner Erscheinung war er kein Dummkopf.
Vor der Vernehmung hatte Will mit Ellie Chapin gesprochen. Das Oberteil, so hatten sie festgestellt, war von Ruth und Beatrice an dem Tag bei H&M in Cambridge gekauft worden, an dem sie auch Simon getroffen hatten. Zufall oder steckte mehr dahinter? Fast zwei Wochen später hatte Beatrice festgestellt, dass es verschwunden war.
»Ich habe den Eindruck, dass es in diesem Zusammenhang etwas gibt, das die Mutter verschweigt«, sagte Ellie.
»Über die Umstände des Verschwindens oder was?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, wahrscheinlich ist nichts dran.«
»Nein. Wenn Sie das Gefühl haben, da ist etwas, dann ist da vermutlich auch was.«
Ellie sah ihn dankbar an.
»Wir werden noch mal mit ihr sprechen«, sagte Will.
Simon Pierce hatte einen ausgeleierten Baumwollpullover über sein T-Shirt gezogen, bevor er das Haus verließ, außerdem trug er jetzt ein Tweedjackett mit Flicken auf den Ärmeln, abgetragene Lederschuhe und immer noch die Jeans. Er saß aufrecht und erwartungsvoll da, wollte offenbar, dass es begann. Matthew Oliver klopfte mit dem Ende seines Kugelschreibers auf das Notizbuch mit Spiralbindung, sah zur frisch getünchten Decke hinauf und zählte die Risse, die vom schlechten Trocknen der Farbe kamen.
Neben Will saß Jim Straley. Für das Aufnahmegerät nannte Will die Namen der Anwesenden sowie Datum und Zeit.
Der schwarzgoldene Pulli lag in einer Hülle auf dem Tisch zwischen ihnen.
»Wie ist dieses Kleidungsstück, das nachweislich Beatrice Lawson gehört, in Ihren Besitz gelangt?«
»War es denn in meinem Besitz?«
Will holte Luft. So sollte es also laufen?
»Es wurde auf Ihrem Grundstück gefunden. Zwischen Lumpen und Sackleinen und ein paar alten Kleidungsstücken in einem Nebengebäude, das den Anschein machte, als wäre es bis vor Kurzem als Hühnerstall benutzt worden.«
»Sie haben nicht mehr gelegt«, sagte Pierce.
»Was?«
»Als ich den Hof übernahm, sagte der Eigentümer, dervorherige Eigentümer, sie würden mehrere Dutzend Eier pro Woche liefern, kein Problem. Aber ein Fuchs hat sich ein paar von ihnen geschnappt, die besten Legehennen, und das war es dann. Sie können nicht fliegen, wissen Sie. Haben Flügel, aber können nicht fliegen. Sind völlig hilflos.«
Wenn er den Schlaumeier spielen will, kriege ich ihn dran, dachte Will.
»Wofür wurde das Gebäude in letzter Zeit benutzt?«, fragte er ruhig.
»In letzter Zeit?« Pierce schob die Unterlippe vor. »Ach, für nichts Besonderes. Zum Aufbewahren von diesem und jenem.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles.«
»Und können Sie erklären, wieso Beatrice Lawsons Pulli dort gefunden wurde?«
Pierce zuckte die Achseln.
»In Worten, bitte«, sagte Will. »Für die Aufnahme.«
»Natürlich«, sagte Pierce und lächelte unvermittelt. »Für die Aufnahme: Ich habe gerade die Achseln gezuckt, um anzuzeigen, dass ich es nicht weiß.«
Will hätte ihm gerne das Lächeln aus dem Gesicht geschlagen. Er konnte spüren, dass Jim Straley neben ihm die Fäuste ballte.
»Denken Sie noch einmal nach, Mr Pierce. Wie kommt es, dass dieses Kleidungsstück dort gefunden wurde?«
»Ich fürchte, das weiß ich nicht.«
Will beugte sich vor. »In diesem Augenblick durchsucht die Spurensicherung nicht nur diesen Stall, sondern jeden Zoll Ihres Hofes. Was glauben Sie, werden sie dort finden?«
Pierce schüttelte den Kopf. »Kein Kommentar.«
»Wie bitte?«
»Kein Kommentar.«
»Die kleine Tochter Ihrer Exfrau ist verschwunden, wird jetzt seit fünf Tagen vermisst. Eines ihrer Kleidungsstücke wird auf Ihrem Grundstück gefunden und Sie wollen keinen Kommentar abgeben?«
»Ich fürchte, nein.« Dieses Mal war das Lächeln weniger sicher, die Stimme nicht mehr so überheblich.
»Mein Mandant hat durchaus das Recht …«, begann Matthew Oliver, der endlich aufwachte.
»Ich denke, Ihr Mandant
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