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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Kopfhörer seines iPods baumelten am Vorderteil. Vernon, sagte er, arbeite nie sonntags, wenn er es vermeiden könne. Nun, Will auch nicht, aber das hier war etwas anderes.
    Beim Anblick von Wills Polizeiausweis gab der Jugendliche Vernons Handynummer heraus, aber der antwortete nicht, sodass Will eine Nachricht hinterließ und Vernon bat, so schnell wie möglich zurückzurufen.
    »Wie lange arbeiten Sie schon hier?«, fragte Will.
    »Immer sonntags, bestimmt fast ’n ganzes Jahr.«
    »Kennen Sie einen Mann namens Roberts, der bis vor Kurzem hier gearbeitet hat?«
    »Meinen Sie Mitch?« Will nickte. »Hab ihn ein paarmal gesehen, aber jetzt schon ’ne Weile nicht mehr. Hat gekündigt, sagt Vernon. Vernon meint, er kann mich vielleicht anlernen, und dann krieg ich Mitch seine Stelle.« Der Junge lächelte hoffnungsvoll.
    »Haben Sie einen Toyota hier, an dem noch gearbeitet wird?«
    »Ja, ’n Corolla.« Er nickte in Richtung der geschlossenen Werkstatt. »Wir warten immer noch auf die Ersatzteile.«
    Will nahm eine seiner Karten aus der Brieftasche. »Falls Vernon meine Nachricht nicht bekommen hat und vorbeikommt oder sich meldet, bringen Sie ihn dazu, mich anzurufen, okay? Es ist wichtig.«
    »Gut.« Als Will in seinen Wagen stieg, setzte der Junge die Kopfhörer wieder auf und sah ihm nach. Es gab sonst nichts für ihn zu tun.
     
    Ruth hatte den ganzen Tag über immer wieder an Simon denken müssen, hatte vielleicht das erste Mal seit ihrer Scheidung ernsthaft über ihn nachgedacht. Als in der Folge von Heathers Tod deutlich wurde, dass ihre Beziehung nicht verkraften würde, was geschehen war   – durch die Ereignisse waren Differenzen zwischen ihnen zutage getreten, die sich schon seit geraumer Zeit abgezeichnet hatten   –, nahm sie an, dass es Simon wäre, dem es leichter fallen würde weiterzumachen; Simon, der eine neue Partnerin finden, wieder heiraten und vielleicht sogar wieder ein Kind haben würde.
    Als sie sich in London mit ihm getroffen und ihm von ihrer Beziehung zu Andrew erzählt hatte, hatte er die Tatsache, dass sie wieder heiraten würde, fast gelassen aufgenommen. Herzlichen Glückwunsch. Ein Lächeln. Vielleicht etwas süffisant, aber trotzdem ein Lächeln. Und danach mehr oder weniger nichts. Er war aus ihrem Leben verschwunden, und ihr war das ganz recht gewesen. Durch ihren Umzug nach Ely hatte sie freiwillig fast alle Verbindungen zu ihrem früheren Leben gekappt. Sie nahm an, dass so etwas eben passierte, besonders nach einem so traumatischen Erlebnis wie dem Tod eines Kindes. Die Situation war schwierig: Je mehr Zeit man miteinander verbrachte, desto häufiger musste man zwangsläufig an das Unglück denken.
    Auch die Ehe der Effords hatte nicht überlebt. Es hatte einen Brief von Alan gegeben, der irgendwie den Weg zu ihr gefunden hatte, indem er von Adresse zu Adresse nachgesandt worden war; er lebte in einer Zweizimmerwohnung im Norden Londons in der Nähe der U-Bahn -Station Archway und sah die Kinder am Wochenende. Der Ton seinesBriefes war wehmütig, fast verzweifelt gewesen. Warum treffen wir uns nicht mal? Ein Wiedersehen wäre so schön. Sie hatte nicht geantwortet.
    Als es jetzt an der Tür läutete, achtete sie kaum darauf; entweder Andrew oder Anita würden aufmachen, vorausgesetzt, Anita war immer noch da.
    Ein paar Augenblicke später öffnete Andrew die Tür zum Wohnzimmer und führte Will hinein. »Der Detective Inspector möchte uns noch ein paar Fragen stellen.«
    Ruth strich ihren Rock glatt und wartete, bis sich Andrew neben sie gesetzt und eine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte.
    Will saß ihnen gegenüber.
    »Geht es um Simon?«, fragte sie.
    »Nicht direkt, nein. Ich wollte Sie nur noch einmal nach dem Pulli fragen, den wir gefunden haben. Sie sagten, er sei plötzlich verschwunden, ich glaube, das war sieben Tage, nachdem Sie die E-Mail mit den Fotos erhalten haben.«
    »Ja, wenn ich mich richtig erinnere.«
    »Und was haben Sie vermutet? Dass er irgendwo verloren gegangen wäre?«
    »Ja, das glaube ich. Ich meine, wir haben gesucht, Beatrice und ich. Sie müssen wissen, es war nicht das erste Mal, dass so etwas passiert ist. Manchmal hat sie ihre Kleidungsstücke an die falsche Stelle gelegt, aus irgendeinem Grund unter die Matratze gestopft oder überhaupt nicht weggeräumt. Als der Pulli nicht wieder auftauchte, dachte ich, sie hätte ihn in der Schule vergessen.«
    »Sie hat ihn in der Schule getragen?«
    »Manchmal. Sie haben natürlich eine

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