Schrei Aus Der Ferne
festgehalten wurde, dauerte die erste gründliche Durchsuchung des Hauses und der Nebengebäude in Padnal Fen an, ohne dass eine weitere Spur des vermissten Mädchens gefunden worden war. In dem ehemaligen Hühnerstall hatten die Beamten etwas entdeckt, das menschliches Blut sein mochte, und Proben davon waren ins Labor geschickt worden: Sie hofften zwar auf einen entscheidenden Hinweis, konnten aber nicht mit Gewissheit darauf bauen.
Simon Pierce hatte sein Spiel aufgegeben – wenn es denn eines gewesen war – und nach und nach gestanden, dass er Beatrice über einen Zeitraum von mehreren Monaten verfolgt hatte. Manchmal hatte er Fotos gemacht, manchmal hatte er sie lediglich aus einer gewissen Entfernung beobachtet. Zu keinem Zeitpunkt, sagte er, hatte er den Versuch gemacht, mit ihr zu sprechen; zu keinem Zeitpunkt war er auf irgendeine Weise in direkten Kontakt zu ihr getreten. Die zuversichtliche Fassade, hinter der er sich am Anfang der Vernehmung versteckt hatte, begann Risse zu bekommen, aber zu Wills Bedauern gab es immer noch nichts, das bewies, dass seine Verbindung zu Mitchell Roberts etwas anderes als ein grotesker Zufall war.
Eine Untersuchung der zwei Memory Sticks, die bei seinem Computer gefunden worden waren, brachte mehrere hundert Bilder von Beatrice zum Vorschein, die offenbar alle ohne ihr Wissen aufgenommen worden waren. Weitere Fotos befanden sich auf der Festplatte. Eine kleine Auswahl dieser Bilder hatte er an Ruth geschickt.
»Warum haben Sie sich als Absender geheim gehalten?«, hatte Straley gefragt. »Warum haben Sie nicht deutlich gemacht, dass die Fotos von Ihnen kamen?«
»Ich dachte, es würde ihr nicht gefallen.«
»Die Fotos oder die Tatsache, dass sie von Ihnen stammten?«
»Dass sie von mir stammten.«
»Und warum?«
»Ich weiß es nicht. Als ich sie in Cambridge getroffen habe, sie und Beatrice, schien sie nicht sehr erfreut zu sein, mich zu sehen. Das ist alles.«
»Und was, glauben Sie, war der Grund?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und Beatrice? Hat sie sich gefreut, Sie zu sehen?«
»Sie kannte mich ja gar nicht.«
»Sie hat Sie nicht erkannt?«
»Wie denn? Sie wusste nicht, wer ich war.«
»Bis zu diesem Moment.«
»Das ist richtig.«
»Aber sie muss Sie doch bemerkt haben, als Sie ihr nachgeschlichen sind?«
»Ich bin ihr nicht nachgeschlichen, nicht so, wie das bei Ihnen klingt.«
»Wie klingt es denn?«
»Sie lassen es unangenehm und gemein klingen.«
»Und das war es nicht?«
»Nein.«
»So viel Zeit darauf zu verwenden, ein kleines Mädchen zu verfolgen? Knapp zehn Jahre alt?« Straley gelang es nicht ganz, den Ekel aus seiner Stimme herauszuhalten.
»Hören Sie auf«, sagte Pierce. »Hören Sie auf. So war das überhaupt nicht.«
»Nein?«
»Das sind Ihre Gedanken, nicht meine.«
»Dann sagen Sie mir doch, wie es war. Damit ich es verstehe.«
Pierce holte tief Atem, dann noch einmal. »Ich wollte nur … Ich wollte sie nur kennenlernen. Ich wollte wissen, wie sie ist. Das ist doch nicht schlimm. Überhaupt nicht schlimm.«
»Wo ist sie jetzt?«, fragte Straley.
»Ich weiß es nicht. Glauben Sie nicht, dass ich es Ihnen sagen würde, wenn ich es wüsste?«
Natürlich hatten die Medien Wind davon bekommen, dass die Polizei jemanden in Gewahrsam hatte, und jetzt verlangten sie lauthals danach, Einzelheiten zu erfahren. Will war damit einverstanden, dass später am Tag eine Pressekonferenz angesetzt wurde, hatte aber keineswegs die Absicht, Pierces Identität preiszugeben. Sobald diese veröffentlicht und seine frühere Beziehung zur Mutter des vermissten Mädchens bekannt wurde, würden Spekulationen um sich greifen und der Druck auf Pierce würde enorm sein. So ein Riesengeschrei konnte die Wahrheit nur verschleiern.
Im Augenblick hatte Pierce die vorgeschriebene Pause für eine Mahlzeit, saß seinem Anwalt gegenüber und stocherte in Würstchen mit Pommes frites herum. Jim Straley und Ellie Chapin waren in Wills Büro und tranken Kaffee. Das heißt, Jim und Will tranken Kaffee, Ellie trank Ingwertee aus einer Trinkflasche, die sie jeden Tag von zu Hause mitbrachte.
»Ellie«, sagte Will, »gehen Sie mal diesen Internetgruppen auf den Grund, mit denen Pierce zu tun hat. Väter ohne Kinder und solche Sachen. Sprechen Sie mit Liam Noble, vielleicht weiß er etwas. Oder er kann Sie an jemanden verweisen, der Informationen hat. Okay? Jim, Sie kommen wieder mit mir.«
Auf dem Weg in den Verhörraum nahm Will Matthew Oliver zur
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