Schrei Aus Der Ferne
an.«
»Fünfundneunzig was?«
»1995.«
»Was ist damit?«
»Sie lagerten auf einem Platz nördlich von Outwell, nicht weit von Holly End entfernt.«
»Ach ja? Dann wissen Sie mehr als ich.«
»Derselbe Platz, den Sie 2001 und 2004 benutzt haben.«
»Na und? Selbst wenn es so wäre.«
»Roberts war bei Ihnen.«
»Wirklich?«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Kann Ihnen nicht erzählen, was ich nicht weiß.«
»’95. Sommer ’95.«
»Kann mich nicht erinnern.«
Helen beugte sich ein wenig vor, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. »Sie wissen, dass wir mit den Leuten sprechen, mit denen Sie über Land fahren? Mit Ihrer Familie, Ihrem Anhang. Glauben Sie, dass deren Erinnerungsvermögen genauso schlecht ist wie Ihres? Und dann ist da Ihre Tochter Gloria. Martinas Mutter. Sollte nicht allzu schwierig sein, sie in Aberdeen aufzuspüren. Sie wird sich an Roberts erinnern, würde ich sagen. Fast noch ein Kind, das war sie doch, als sie Martina bekam? Fünfzehn, sechzehn? Vielleicht hat sie Gründe, sich genau an Mitchell Roberts zu erinnern.«
Jones umklammerte nicht mehr die Tischkante, sondern presste die Hände fest auf seine Schenkel. Die Farbe wich aus seinen wettergegerbten Wangen.
»Nicht nötig«, sagte er. »Nichts davon ist nötig.« Er räusperte sich. »Roberts, ich habe ihn vor dieser Zeit getroffen. Die Sie erwähnt haben. Ein paar Jahre vorher.«
»Wie viele?«
»Wollen Sie nun, dass ich es erzähle oder nicht?«
»Wie viele Jahre davor?«, fragte Will noch einmal.
Jones stieß einen langen Atemzug aus. »Es muss im Winter 1992 gewesen sein. Einer der Wagen hatte eine Panne. Bei Peterborough. Roberts, der arbeitete in diesem Laden an der Straße, Benzin und so weiter, hin und wieder eine Reparatur. Der Kerl, der das Sagen hatte, meinte, sie hätten keinen Mechaniker, nichts dergleichen. Er wollte uns weghaben, wollte nicht, dass wir seine Tankstelle blockieren. Roberts sagte, er könnte es reparieren. ›Nicht, solange du für mich arbeitest‹, sagte der Typ, und Roberts entgegnete: ›Du kannst mich mal. Zahl mir, was mir noch zusteht.‹ Dann half er, den Wagen zum nächsten Rastplatz zu schieben, und brachte ihn an Ort und Stelle in Ordnung. Jedenfalls so weit, dass wir weiterfahren konnten. ›Was verlangen Sie dafür?‹, fragte ich ihn. ›Ein Bett würde mir genügen‹, sagte er. ›Nur für ’n paar Tage. Ein Platz, wo ich unterkommen kann.‹« Jones fuhr sich mit dem Daumen über den gebrochenen Nasenrücken. »Er blieb viel länger.«
»Sie wurden Freunde.«
»Das nie.«
»Was dann?«
»Er war ein guter Mechaniker, ein echtes Talent. Gut mit den Händen. Die Wohnwagen und so weiter hatten im Laufe der Jahre ganz schön was abbekommen und waren nie ausgetauscht worden. Roberts setzte sie instand. Er kaufte sich einen kleinen Transporter, fuhr in der Gegend rum und schnorrte Ersatzteile zusammen. Als er weiterzog, das muss im Frühling gewesen sein, war fast jedes unserer verdammten Fahrzeuge wie neu.«
»Frühling 1993?«
Jones nickte. »Danach hab ich ihn erst ’ne ganze Weile später wiedergesehen. Vielleicht ein Jahr oder anderthalb.Er sah mitgenommen aus, als hätte er im Freien geschlafen. Das zweite Mal blieb er aber nicht lange. Eine Woche oder so. Dann ist er weitergezogen. Ich dachte, ich würde ihn nie wiedersehen, aber es dauerte nicht lange, etwa ein Jahr. Oder weniger. Er war irgendwie an Geld gekommen. Arbeitete in einer Fabrik. Wisbech. Tiefkühlkost. Er hat aber nicht direkt bei uns gewohnt, dieses Mal nicht. Hatte ’ne eigene Wohnung, wo, weiß ich nicht. Fuhr immer noch denselben alten Transporter.«
»Und wann war das genau?«
»’95, ’96.«
»Was denn nun?«
»’95.«
»Wenn er in seinem Transporter wegfuhr«, sagte Will, »nahm er dann manchmal den Hund mit?«
»Den Hund?«
»Sie wissen, welchen ich meine. Ihren Hund. Ezra.«
Jones nickte, wobei die Silbermähne seine Schultern streifte. »War damals ein Welpe. Aus irgendeinem Grund hatte Roberts einen Narren an ihm gefressen, der Himmel weiß, warum. Habe mich immer gefragt, was Roberts mit ihm wollte. Das Tier hat eigentlich nichts als Ärger gemacht.«
»Roberts«, sagte Will, »wollte den Hund als Köder.«
Der Ort, an den Samuel Jones sie führte, war keiner von den beiden, die sie zuvor ins Visier genommen hatten, sondern lag ganz woanders. In südlicher Richtung, eine Viertelmeile jenseits der alten Römerstraße, am Rand von Upwell Fen. Zwei Katen, die Anfang des
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