Schrei Aus Der Ferne
Weile hatte das Ermittlungsteam den Vater unter die Lupe genommen, aber außer der Tatsache, dass er ein herzloses und arbeitsscheues Großmaul mit allzu ausgeprägter Vorliebe für den Alkohol war, hatten sie ihm nichts nachweisen können.
»Bei den anderen Fällen gibt es ein Muster«, sagte Noble. »Er hält die Opfer für relativ kurze Zeit fest, zwei oder drei Tage, dann lässt er sie gehen.«
»Vielleicht ist bei Howard etwas passiert. Sie wollte weglaufen oder der Missbrauch ist zu weit gegangen.«
Noble verengte die Augen. »Sie glauben, es gibt irgendwo eine Leiche?«
»Ich halte es für möglich.«
»Dann ist sie aber lange Zeit verborgen geblieben.«
So ist es, dachte Will. Das passiert.
Noble brachte ihn zu seinem Wagen hinaus. Was früh am Morgen versprochen hatte, ein besserer Tag zu werden – die Sonne, die glutrot über dem Feld aufging, als Will losgelaufen war –, war bereits wie so oft hinter Schichten von Grau verschwunden.
»Ich bin sicher, Sie haben das bereits bedacht«, sagte Noble, »aber wenn Roberts ein echter Serientäter ist, sind die zeitlichen Lücken zwischen den einzelnen Taten schwer zu erklären.«
»Vielleicht hatte er Glück«, sagte Will. »Niemand hat etwas herausgefunden oder sich beschwert. Oder er hat die Gegend verlassen und woanders zugeschlagen.«
Noble nickte. Es gab eine dritte Möglichkeit, das wussten sie beide, wollten es aber nicht deutlich sagen. Genau wie Rose Howards Leiche all die Jahre irgendwo in der weiten Landschaft East Anglias versteckt sein mochte und darauf wartete, gefunden zu werden, könnte es weitere Leichen geben, deren Namen bislang noch unbekannt waren.
Helen wartete schon auf ihn, als er zur Parkside zurückkehrte, und ein gewisser Glanz lag in ihren Augen.
»Hattest du eine gute Nacht?«, sagte Will mit einem Grinsen.
»Einen guten Morgen.«
»Wie kommt das?«
»Ich habe über unsere gestrige Begegnung mit Vernon Lansdale nachgedacht. Und je länger ich nachgedacht habe, desto deutlicher schien mir, dass es ihm darum ging, dich aufzuziehen. Zu verarschen.«
»Also hast du versucht, ob du mit deinen weiblichen Tricks weiterkommst? Auf die weiche Tour?«
»So könnte man es auch ausdrücken.«
Will ging hinter seinen Schreibtisch und zog seinen Stuhl vor. »Hattest du Erfolg?«
»Nach einer Menge Herumreden hat er einen Namen geliefert. Jemand, der ein paarmal in der Tankstelle angerufen hat, um mit Roberts zu sprechen. Hayward. W-A-R-D. Wenigstens meint er es so verstanden zu haben.«
»Hatte er auch einen Vornamen?«
»Lansdale war sich nicht sicher. Etwas mit P am Anfang. Peter. Paul.« Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ich hab’s für alle Fälle im Computer überprüft. Es gibt einen Paul Heywood. E-Y und nicht A-Y. O-O-D. Heywood. Zwei Verstöße gegen das Verbot der Verbreitung von Pornografie im Jahr 1997, weil er obszöne Videos zum Verkauf oder zur Ausleihe angeboten hat. Eine Geldstrafe und sechs Monate auf Bewährung. 1999 eine erneute Anklage wegen des Verschickens anstößiger Literatur mit der Post, eine weitere Geldstrafe, Bewährung. 2005 – und jetzt wird es richtig interessant – wurde er strafrechtlich verfolgt, weil er obszöne Fotografien von Kindern in seinem Besitz hatte, mit der Absicht, sie an andere weiterzugeben. Als die Sache vor Gericht kam, wurde die Anklage der Weitergabe fallengelassen – unklar, warum – und er bekannte sich des Besitzes schuldig. Gesetz zum Schutz der Kinder von 1978. Er wurde zu achtzehn Monaten verurteilt, nach zehn freigelassen.«
»Und wann war das?«
»2005.«
»Und das bedeutet, dass er zur selben Zeit gesessen hat wie Roberts.« Etwas, das einem Lächeln glich, glitt über Wills Gesicht. »Sie haben sich im Gefängnis kennengelernt.«
Helen nickte. »Drei Monate im selben Trakt von Lincoln.«
»Hübsch, wirklich hübsch. Ich nehme nicht an, dass der Computer auch gleich eine Adresse ausgespuckt hat?«
»War nicht schwer. Genau wie Roberts steht er im Strafregister für Sexualtäter. Eine Adresse in Norwich. Ich habe das Polizeirevier vor Ort gebeten, sie zu überprüfen.«
»Gute Arbeit.«
»Danke.« Sie nahm auf der Ecke von Wills Schreibtisch Platz. »Vielleicht ist endlich der Zeitpunkt gekommen, an dem Mitchell Roberts’ Glück ein Ende hat.«
»Glück?« Will reckte die Arme hoch über den Kopf und atmete langsam aus. »Wenn wir recht haben und Roberts eine ganze Serie von Sexualdelikten begangen
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