Schrei Aus Der Ferne
Gefängnis?«
»Ja.«
»Und später, als Sie beide entlassen wurden, blieben Sie in Kontakt?«
Ein Zögern, dann: »Ja, ja.«
»Und was? Haben Sie sich Briefe geschrieben? E-Mails ? Telefoniert? Was?«
»Manchmal hab ich … hab ich ihn angerufen. In der Tankstelle, wo er gearbeitet hat.«
»Oft? Wie oft?«
»Nicht sehr oft. Drei- oder viermal, das is’ alles.«
»Drei- oder viermal?«
»Ja.«
»Wir können das überprüfen, wie Sie wissen.«
»Nein, das war alles. Ich schwöre es.«
»Und dabei haben Sie ein Treffen verabredet?«
Heywood blinzelte, weil ihm der Schweiß in die Augen lief.
»Dabei haben Sie ein Treffen verabredet?«, fragte Helen noch einmal.
»Nein, hab ich nicht … ich hab ihn nicht getroffen. Hab ihn seit Lincoln nicht mehr gesehen. Ich würde doch nicht …« Sein Hals war trocken, und die Worte blieben ihm am Gaumen kleben. »Ich darf nicht, wissen Sie …« Ein schneller Blick auf Cole. »Ich darf keinen Kontakt haben mit …«
»Mit Perversen wie Mitchell.«
»Ja.«
»Gleich und gleich gesellt sich gern«, sagte Helen.
»Hä?«
»Ihre Sorte, Sie und Mitchell, kommen gern zusammen.«
Heywood wischte sich die Handflächen am Kittel ab.
»Wo ist er?«, fragte Helen. »Mitchell? Auch wenn Sie sich nicht mit ihm treffen, müssen Sie doch wissen, wo er ist.«
»Nein. Hat er mir nie gesagt. Cambridge, mehr weiß ich nicht. In irgendeinem Wohnheim.«
»Nicht mehr.«
»Ich weiß nicht, ich …«
»Er hat die Flatter gemacht. Ist weg.«
»Das wusste ich nicht.« Mit großer Anstrengung schaffte er es, Helen das erste Mal ins Gesicht zu sehen. »Bei meinemLeben, ich weiß nicht, wo er ist. Bis Sie’s gesagt haben, wusste ich nicht mal, dass er verschwunden ist. Das is’ die ehrliche Wahrheit, bei Gott.«
»Wenn ich rauskriege, dass Sie lügen …«
»Tu ich nicht, ehrlich.«
»Wenn …«
Heywood schüttelte den Kopf.
Helen nahm eine Karte aus ihrer Tasche und schob sie in die Brusttasche seines Kittels. »Wenn er sich bei Ihnen meldet«, sagte sie leise, »lassen Sie mich das wissen?« Heywood nickte. »Paul?«
»Ja, ja, das mach ich.«
»Ich habe Ihr Wort?«
Er nickte noch einmal.
Cole sah zu Will hinüber, als Helen zurücktrat. »Okay«, sagte er. »Paul, Sie gehen jetzt besser wieder an die Arbeit.«
Ohne ein weiteres Wort drehte Heywood sich um und ging langsam auf die Tür der Ladebucht zu.
Cole wartete, bis sie wieder auf der Straße waren, bevor er nach seinen Zigaretten griff, Helen Feuer gab und dann seine eigene anzündete.
»Ich weiß ja nicht, wie es Heywood gegangen ist«, sagte er, »aber mir haben Sie eine Heidenangst eingejagt.«
»Heißt das, dass Sie ihm glauben?«, fragte sie.
Cole gestattete sich ein Lächeln. »Es gibt ein Problem mit Leuten wie Heywood. Sie verbringen so viel Zeit damit, sich in Lügen zu verstricken, dass es für sie das Schwierigste von der Welt ist, die Wahrheit zu sagen. Aber wir werden ihn noch strenger überwachen, soweit das geht. Und wir haben die Beschreibung von Roberts. Sollte sein Gesicht hier auftauchen, besteht eine gute Chance, dass wir es erfahren.«
Als sie wieder beim Polizeirevier waren, schüttelten sie sich die Hand.
»Und Sie wollen wirklich nicht auf ein Glas bleiben?«, fragte Cole.
»Nein, danke«, sagte Will, »es ist besser, wenn wir zurückfahren.«
»Das Verbrechen schläft nicht.«
»Das können Sie laut sagen.«
»Möchtest du, dass ich fahre?«, fragte Helen, als sie wieder beim Wagen waren.
»Wenn es dir nichts ausmacht.«
»Solange ich vorher noch eine rauchen kann.«
Will fischte ein Päckchen Pfefferminzbonbons aus dem Handschuhfach und sie standen neben dem Wagen, jeder auf einer Seite. Helen rauchte und dachte nach.
»Wie lange ist die Sache in Rack Fen her?«, fragte sie. »Martina Jones?«
»Drei Jahre, fast vier.«
»Und die anderen Taten, welches ist der längste Abstand zwischen ihnen? Fünf Jahre?«
Will nickte.
Helen ließ ihre Zigarette fallen und drückte sie mit dem Fuß aus. »Dann ist die Zeit nicht gerade auf unserer Seite.«
43
Ruth hatte sich schon längere Zeit darauf gefreut: ein eintägiger Kurs an der Tate Britain zu den Gemälden von Bonnard und Vuillard. Ruth liebte sie beide. Sie mochte den Reichtum von Vuillards Interieurs, die Art und Weise, wie er die Menschen scheinbar zufällig inmitten einer kleinen häuslichen Verrichtung einfing; sie mochte Bonnards Gebrauch der Farbe, die intimen Porträts seiner Frau Marthe,
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