Schrei der Nachtigall
irgendwie auch unwahrscheinlich. Was ist jetzt mit der Exhumierung?«
»Keine Chance.«
»Sehe ich in Ihren Augen etwa Angst vor Ihrem Boss?Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, nicht bei Ihnen.«
»Bitte, sparen Sie sich Ihre ironischen Bemerkungen. Das hat nichts mit Angst zu tun, sondern allein mit dem Kosten-Nutzen-Faktor.«
»Und was ist mit den Kosten für eine unnütze Observierungskampagne, obwohl wir weiß Gott Besseres zu tun hätten?! Kommen Sie, geben Sie sich einen Ruck, ich merke doch, dass Sie …«
»Dass ich was?«, fragte sie mit hochgezogenen Brauen.
»Inzwischen kennen Sie mich einigermaßen gut und ich Sie auch. Das wäre doch mal wieder ein richtiger Fall. Die Albaner werden von den Kollegen trotz allem nicht aus den Augen gelassen, heiliges Indianerehrenwort.«
Elvira Klein verzog den Mund zu einem Lächeln, wandte den Kopf ein wenig zur Seite und sagte: »Sie glauben also allen Ernstes, mich zu kennen. Gut, dann will ich Sie in dem Glauben lassen. Aber nennen Sie mir einen einzigen Grund, weshalb ich der Exhumierung zustimmen sollte. Nur einen einzigen.«
Brandt lächelte ebenfalls und meinte: »Weil dieser Wrotzeck laut seinem Sohn mehr Feinde hatte, als wir beide jemals zusammen haben werden.«
Elvira Klein fuhr sich mit der Zunge über die dezent geschminkten Lippen, stand auf und stellte sich mit dem Rücken ans Fenster.
»Also gut, ich werde sehen, was ich tun kann. Ihnen ist hoffentlich klar, was ich da auf mich nehme, oder?«
»Natürlich. Aber Sie kennen doch sicher den Spruch der Rechtsmediziner – wenn auf den Gräbern aller Ermordetenein Lichtlein brennen würde, wären die Friedhöfe hell erleuchtet. Und wir wollen doch nicht, dass noch ein Licht dazukommt, nicht wahr?«
»Und Sie wissen hoffentlich, wie knapp unser Etat bemessen ist.«
»Tja, überall wird gestrichen, nur die Bonzen füllen sich die Taschen. Das ist die Ungerechtigkeit in unserer Zeit. Ich verspreche Ihnen, Ihr Einsatz wird nicht umsonst gewesen sein.«
Klein lächelte wieder, diesmal richtig charmant, und sagte: »Wie wollen Sie etwas versprechen, wenn Sie noch gar nicht das Ergebnis der Obduktion kennen?«
»Mein untrüglicher Riecher hat mich noch nie im Stich gelassen. Na ja, noch nie wäre übertrieben, aber meist hat er mich in die richtige Richtung geführt. Und diesmal bin ich mir sehr, sehr sicher.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr. Haben Sie auch einen Wunsch, wer die Obduktion durchführen soll? Dr. Sievers vielleicht?«, fragte sie mit einem Unterton in der Stimme, der Brandt aufhorchen ließ. Ahnte sie etwas, oder wusste sie etwa Bescheid über seine Beziehung mit Andrea Sievers?
»Warum nicht? Sie ist sehr kompetent.«
»Das müssen Sie ja besonders gut wissen. Und ich auch, schließlich ist sie meine beste Freundin.«
»Seit wann wissen Sie’s?«
»Ach, kommen Sie, die Spatzen pfeifen es inzwischen von den Dächern, oder haben Sie wirklich geglaubt, in einem Kaff wie Offenbach könnte man so was lange geheim halten? Ich wundere mich nur, dass Andrea bisher nicht den Mut aufgebracht hat, es mir persönlich zu sagen.«
»Eifersüchtig?«, fragte Brandt grinsend.
Elvira Klein lachte auf. »Auf Andrea? Überschätzen Sie sich nicht. Sie mögen
ihr
Fall sein …«
»Dachte ich mir schon. Aber ich glaube nicht, dass es Andrea an Mut fehlt, sie hatte wahrscheinlich nur Angst, Sie zu verletzen oder als Freundin zu verlieren. Ich rede mit ihr.«
»Brauchen Sie nicht. Warum denken die Leute nur immer so negativ über mich? Ich gönne jedem sein Glück, selbst Ihnen, Herr Brandt.«
»Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich mach mich dann mal wieder an die Arbeit. Wann, meinen Sie, kann die Exhumierung durchgeführt werden?«
»Vielleicht schon morgen, ich werde zumindest sehen, was ich machen kann. Wir wollen doch nicht zu lange im dunkeln tappen, oder? So, ich erledige meinen Teil, und Sie hören sich weiter um. Und ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich …«
»… auf dem laufenden gehalten werden möchte. Schon klar. Und nochmals danke.«
Auf dem Weg zu seinem Wagen dachte Brandt über die vergangenen Minuten nach und schalt sich einen Narren, geglaubt zu haben, vor Elvira Klein seine Liaison mit Andrea Sievers auf ewig verbergen zu können. Er holte sein Handy aus der Hemdtasche und wählte die Nummer der Rechtsmedizin.
»Hi, ich bin’s«, sagte er. »Ich komm gerade von deiner lieben Freundin … Ja, natürlich die Klein. Ich wollte dir nur mitteilen,
Weitere Kostenlose Bücher