Schrei in der Nacht
Bein über das
Fensterbrett und kletterte hinaus auf den Sims. Einen Moment
zögerte er noch und verharrte in der Sicherheit des
geöffneten Fensters, doch dann begann er vorsichtig, mit dem
Gesicht zur Mauer und Schritt für Schritt, auf dem Sims
entlangzuklettern.
Er spürte nicht die Kälte oder den Wind, der
schneidend durch den dünnen Stoff des Schlafanzuges drang.
Zentimeter um Zentimeter kletterte er vorwärts, alle Sinne darauf
konzentriert, das Gleichgewicht auf dem schmalen Sims zu halten. Es
schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis er das erste Fenster erreichte.
Es stand unten einige Zentimeter weit offen, er konnte die Finger in
den kleinen Spalt schieben, das Kippfenster hochdrücken und in das
Zimmer klettern. Vorsichtig ging er durch den Raum und bohrte seine
Blicke in die Dunkelheit. Das Bett war leer. Rasch ging er zur
Tür, drückte die Klinke herunter und öffnete die
Tür einen Spalt. Nur ein kleines Stück weiter saß ein
Polizeisergeant auf einem Stuhl und las ein Buch. Fallon schloß
leise wieder die Tür.
Er verlor nun keine Zeit, sondern tappte
durch das dunkle Zimmer zurück und kletterte wieder hinaus auf den
Sims. Diesmal kam ihm die Kälte zu Bewußtsein, und er
erschauerte, als er auf das nächste Fenster kletterte. Auch hier
hatte er Glück. Der Lichtschein drang durch einen kleinen Spalt
zwischen zugezogenen Vorhängen hindurch. Fallon verhielt kurz, um
sich auszuruhen, und tastete sich dann weiter zu dem letzten Fenster
hin. Es war etwas weiter entfernt als die anderen, und als er es
endlich erreicht hatte, zitterten ihm die Arme. Seine Finger tasteten
über den Fensterrahmen, und Entsetzen stieg in ihm auf, als er das
Fenster geschlossen fand. Er drückte wieder dagegen, spannte jeden
Finger an, und plötzlich flog das Fenster klirrend auf; er verlor
die Balance und fiel halb über das Fensterbrett. Der Schmerz
wühlte ihm in der Brust; er mußte einen Schrei
unterdrücken und kletterte dann in das Zimmer. Dort setzte er sich
zunächst auf den Fußboden und wartete, bis der Schmerz
verging. Nach einer Weile, als nur noch ein dumpfer Druck
zurückgeblieben war, stand er wieder auf und ging vorsichtig
vorwärts. Sein Kopf stieß gegen eine Mauer; er tastete sich
an ihr entlang, bis er die Tür erreichte. Wieder drückte er
den Türgriff und zog, aber nichts rührte sich. Schwer atmend
stand er bewegungslos; dann tastete seine Hand über die Wand
seitlich der Tür, bis sie auf den Lichtschalter stieß. Er
befand sich in einer Wäschekammer. An den Wänden standen
Holzregale, auf denen hohe Stapel von Laken, Decken und
Handtüchern aufgetürmt waren. Noch einmal versuchte er die
Tür zu öffnen, aber es gelang nicht. So drehte er das Licht
wieder aus und ging zurück zum offenen Fenster. Er war zwar nicht
verzweifelt, aber doch beunruhigt. Er hatte seine Kräfte sehr
überschätzt. Wenn er sich jetzt hinauswagte, würde er
kaum eine Chance haben; er würde sicher nicht davonkommen. Doch da
erinnerte er sich wieder der Worte von Stuart, und neue Energie
durchströmte ihn. Er kletterte hinaus auf den Sims und tastete
sich zurück zu seinem eigenen Zimmer.
Der Rückweg schien ihm doppelt so
lang zu sein als vorher, und einmal verlor er fast das Gleichgewicht
und war nahe daran zu fallen. Es war wie ein Wunder, daß er
trotzdem wieder Fuß fassen konnte. Endlich hatte er es geschafft
und zog sich über das Fensterbrett zurück in sein eigenes
Zimmer. Er wankte zum Bett und ließ sich niederfallen; sein
Zustand war nicht gut. Er konnte nur mit Schwierigkeit atmen, weil ihm
die Brust durch die Verbände wie zugeschnürt erschien. Wieder
einmal überdachte er seine Lage. Nach rechts den Sims
entlangzuklettern, war sinnlos; dort brannte noch fast in jedem Zimmer
Licht, und irgend jemand würde ihn sehen. Es war auch
möglich, daß dies die Zimmer der Schwestern waren. Nein, er
mußte sich eine andere Lösung einfallen lassen. Er schaute
auf die Uhr: Es war jetzt Viertel nach zehn. Er pfiff
unwillkürlich durch die Zähne. Die Kletterpartie über
den Sims mußte länger gedauert haben, als er es sich
vorgestellt hatte. Er ging wieder zurück zum Fenster und lehnte
sich hinaus. Auch nach oben führte kein Weg. Die Dachrinne befand
sich einige Meter über ihm außer Reichweite. Und nach unten
war die nächste Fensterreihe etwa drei Meter unter ihm. Er lehnte
sich weit hinaus und schaute hinunter. In dem Zimmer direkt unter ihm
brannte kein Licht.
Er dachte nicht an die bevorstehende
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