Schrei in der Nacht
im gleichen Tonfall zurück:
»Keine Angst, Junge! Sie werden uns auch nicht erwischen,
dafür laß mich nur sorgen.«
Die Tür schloß sich hinter Murphy, und Anne
fragte: »Steht es wirklich so schlimm? Glauben Sie
tatsächlich, daß man Sie hängen würde?«
Mit gerunzelten Brauen und einem
ironischen Lächeln erwiderte er: »Ich weiß es nicht.
Ich kann nur das berichten, was Phil Stuart mir sagte. Zwar war Rogan
derjenige, der die Bombe an der Kirche angebracht hat, aber wir waren
vor dem Gesetz seine Komplizen – Mitschuldige nennt man das wohl.
Anders wird es noch, wenn sie Rogan schnappen, was sehr wahrscheinlich
ist. Er wird zu quatschen anfangen und aus reiner Bosheit mich und den
Jungen belasten.« Er unterbrach sich, denn ein Gedanke zuckte ihm
durch den Kopf; dann setzte er langsam hinzu: »Wahrscheinlich
wird er auch Sie mit in die Sache verwickeln!«
Schweigend hingen beide diesem Gedanken nach; dann
sagte das Mädchen langsam: »Das hieße also, daß
wir hier gemeinsam verschwinden müßten! Eine andere
Möglichkeit gibt es nicht. Ich kann ja wohl nicht hier sitzen
bleiben und auf die Polizei warten, nicht wahr?« Er starrte sie
bestürzt an, denn das volle Ausmaß dessen, was er über
sie heraufbeschworen hatte, wurde ihm jetzt erst bewußt.
»Ich habe Sie zugrunde gerichtet!« stöhnte er.
»Ich habe Sie ruiniert!«
Verstört und verzweifelt schüttelte er den
Kopf. Sie beschwichtigte ihn mit einer Stimme, die von weit her zu
kommen schien, doch ihren normalen Klang wiederhatte. »Machen Sie
sich keine Sorgen! Das einzige, was mich beunruhigt, ist Ihre Wunde.
Das Blut ist durch den Verband gesickert. Ein Glück nur, daß
ich hier bin und Ihnen sachgemäße Hilfe geben kann!«
Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch
plötzlich schien ihm das Mädchen schrecklich weit weg zu
sein, und in seinen Ohren dröhnte es: »Was ist los?«
krächzte er. »Alles dreht sich im Kreise…!«
Ihre Stimme drang aus dem Schacht eines strudelnden
Wirbels zu ihm. »Das war meine Absicht. Ich habe Ihnen etwas in
die Milch getan, und nun werden Sie wieder zwölf Stunden schlafen,
ob Sie wollen oder nicht!« Schwarze Dunkelheit schlug über
ihm zusammen, und das Mädchen verschwand.
Als er wieder erwachte, war das Zimmer
dunkel. Er brauchte eine Weile, um seine Gedanken zu ordnen, doch dann
warf er die Bettdecke zur Seite und setzte sich auf die Bettkante. Der
dumpfe Schmerz in der Seite hatte etwas nachgelassen, und er
fühlte sich allgemein etwas besser. Schließlich tappte er
durch das Zimmer und drehte das Licht an. Einen Augenblick lang kam
wieder ein Schwindelanfall über ihn, und im Kopf drehte sich ihm
alles, aber der Anfall ging schnell vorüber. Quer über dem
Fußende des Bettes lag ein alter Morgenrock; er zog ihn über
und verließ das Zimmer.
Mit schnellen Schritten ging er den Flur entlang und
stieg die rückwärtige Treppe hinunter. Aus dem Zimmer drang
das undeutliche Gemurmel von Stimmen; er lauschte einen kurzen Moment
und öffnete dann die Tür. Anne Murray und Murphy saßen
einander gegenüber am Tisch. Zwischen ihnen stand ein Schachbrett,
und Murphy war gerade im Begriff, mit seiner Dame zu ziehen. Fallon
trat an den Tisch heran, überschaute rasch den Spielstand und
sagte ironisch lächelnd: »Ein schlechter Zug…! Man
muß sich immer sehr in acht nehmen, wenn man mit einer Frau
spielt!« Anne lächelte zurück und erwiderte
entschuldigend: »Es tut mir leid – das mit der Milch
–, aber es war für Sie das beste, glauben Sie mir!«
Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich
bin nicht beleidigt. Es ist nur so, daß uns wieder ein Tag
verlorenging, und ich konnte noch keinen Plan für unsere Rettung
fassen. Hier sind wir jedenfalls in ernster Gefahr. Jede Stunde kann
Rogan gefaßt werden, und das wäre für uns das
Schlimmste, was passieren könnte.«
Anne lächelte und meinte zu Murphy:
»Räum das Schachbrett fort, Johnny, bitte. Ich werde das
Abendbrot herrichten.« Murphy packte die Figuren in das
Kästchen, und Anne ging zum Herd. »Sie sind nicht der
einzige, der sich Gedanken um unsere Rettung macht! Was würden Sie
sagen, wenn wir schon alles überlegt und ausgearbeitet
hätten?«
Überrascht schaute Fallon auf. »Was wollen Sie damit sagen?«
Sie öffnete den Küchenschrank und begann
Geschirr herauszunehmen. »Berichte du ihm, Johnny«, sagte
sie. »Solche großen Geister hassen es im allgemeinen, einer
Frau zuhören zu
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