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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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einem feinen, alten Dekor bemalt, und an der Decke hing ein Bronzekronleuchter mit Kristallprismen. Eine Treppe mit einer wunderschön gedrechselten Balustrade führte in den ersten Stock. Die Wände waren bedeckt mit Gemälden, die rechts unten Erichs schwungvolle Signatur trugen. Jenny war einen Moment sprachlos.
    Joe kam mit den Mädchen die Stufen hoch. »Lauft nicht so schnell«, warnte er sie. Aber der Schlaf hatte ihre Kräfte belebt, und sie brannten darauf, die neue Umgebung zu erkunden. Jenny versuchte, sie im Auge zu behalten, während Erich anfing, ihr das Haus zu zeigen.
    Das große Wohnzimmer war links von der Diele. Sie versuchte, auf alles einzugehen, was er ihr über die einzelnen Möbelstücke erzählte. Wie ein Kind, das mit seinen Spielsachen prahlt, zeigte er auf die nierenförmige Walnußetagere mit dem Marmorsockel. »Frühes achtzehntes Jahrhundert«, erläuterte er. Links und rechts von einem gewaltigen Sofa standen herrlich ziselierte Petroleumlampen, die nun auf elektrischen Strom umgestellt waren. »Mein Großvater ließ das Sofa in Österreich machen. Die Lampen sind aus der Schweiz.«
    Über dem Sofa hing ›Erinnerung an Caroline‹. Eine Leuchte von oben hob das Gesicht auf dem Bild besser hervor als das Tageslicht im Schaufenster der Galerie.
    Jenny hatte das Gefühl, Caroline bei dieser Beleuchtung in diesem Zimmer noch ähnlicher geworden zu sein. Die Frau auf dem Gemälde schien sie anzublicken. »Es ist beinahe eine Ikone«, flüsterte Jenny. »Es kommt mir vor, als folgte sie mir mit den Blicken.«
    »Ich habe auch immer diesen Eindruck«, sagte Erich.
    »Hältst du es für möglich, daß sie es wirklich tut?«
    Ein riesiges Harmonium aus Rosenholz an der Westwand erregte sofort die Neugier der Kinder. Sie kletterten auf die samtbezogene Bank und begannen auf die Tasten zu drücken. Jenny sah, wie Erich zusammenzuckte, als Tinas Schuhspange am Bein der Bank entlangkratzte. Schnell hob sie die protestierenden Mädchen herunter. »Sehen wir uns die anderen Zimmer an«, sagte sie.
    Das Eßzimmer wurde von einem Tisch mit zwölf Stühlen beherrscht. Die Rücken der Stuhllehnen waren mit einem geschnitzten Herzmotiv verziert.
    An der Wand gegenüber hing eine große Flickendecke, wie eine Tapisserie: Sie bestand aus lauter blumenbestickten Sechsecken mit Langettenrändern und gab der strengen Schönheit des Raums eine fröhliche Note. »Meine Mutter hat sie selbst gemacht«, erklärte Erich. »Da sind ihre Initialen.«
    Sämtliche Wände der großen Bibliothek waren bedeckt von Regalen aus Walnußholz. Jedes Fach enthielt eine Reihe penibel ausgerichteter Bücher. Jenny las ein paar Titel. »Ich freue mich schon, daß ich endlich wieder Zeit zum Lesen habe!« rief sie aus. »Wie viele Bücher sind es ungefähr?«
    »Elfhundertdreiundzwanzig.«
    »Du weißt genau, wie viele es sind?«
    »Natürlich.«
    Die Küche war riesig. An der linken Wand war die Arbeitsplatte mit den Maschinen und Geräten. Die Mitte wurde von einem runden Eichentisch und Stühlen eingenommen. Ein gewaltiger Gußeisenherd mit hochglanzpolierten Nickelbeschlägen und blitzenden Marienfenstern an der Ostwand sah aus, als könne er das ganze Haus heizen. Daneben stand eine Eichenwiege, die das Feuerholz enthielt. Ein Sofa mit einem Bezug in altamerikanischem Stil und ein dazu passender Sessel standen genau rechtwinkelig zueinander. Auch hier wirkte kein einziges Stück fehl am Platze.
    »Es ist ein bißchen anders als dein Apartment, nicht wahr? Sein Ton war stolz. »Jetzt verstehst du, warum ich dir nichts gesagt habe. Ich wollte mich über deine Reaktion freuen.«
    Jenny bezwang den Impuls, ihre Wohnung zu verteidigen. »Es ist zweifellos größer«, räumte sie ein.
    »Wie viele Zimmer sind es?«
    »Zweiundzwanzig«, sagte Erich stolz. »Und jetzt zeige ich dir schnell die Schlafzimmer. Der Rest der Führung kommt dann morgen.«

    Er legte ihr den Arm um die Taille, als sie die Treppe hinaufgingen, eine Geste, die sie besänftigte und ihr half, sich nicht mehr ganz so fremd vorzukommen. So ist es, dachte sie — ich komme mir tatsächlich vor wie bei einer Führung in einem Schloß: Anschauen, aber um Gottes Willen nicht berühren.
    Ihr Schlafzimmer war ein Eckraum an der Vorderseite des Hauses. Die dunklen Mahagonimöbel hatten eine samtene Patina. Auf dem gewaltigen Himmelbett lag eine weinrote Brokatdecke, und der Baldachin und die Behänge bestanden aus dem gleichen Brokat. Eine Schale aus Bleikristall auf

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