Schrei in der Nacht
Achseln. Sie wußte, daß sie eigentlich dankbar sein sollte, aber sie konnte nicht umhin zu denken, daß das Risiko, die beiden zu wecken, über jeden Ordnungsdrang hätte siegen müssen, noch dazu in der Hochzeitsnacht.
Im Flur umarmte Erich sie. »Schatz, ich weiß, was für ein langer Tag es gewesen ist. Ich habe dir ein Bad eingelassen. Es müßte jetzt ungefähr die richtige Temperatur haben. Warum ziehst du dich nicht um, und ich hole uns etwas Leckeres. Ich habe Champagner kaltgestellt, und ich habe eine Dose mit dem besten Kaviar, den ich bei Bloomingdale finden konnte. Wie klingt das?«
Jenny schämte sich plötzlich über ihren Ärger. Sie lächelte zu ihm hoch. »Du bist einfach zu gut, um wahr zu sein.«
Das Bad half. Sie ließ sich hineinsinken und genoß die ungewohnte Größe der altmodischen Wanne, die noch auf den originalen klauenförmigen Messingfüßen stand.
Während das heiße Wasser ihre Muskeln in Schultern und Nacken entspannte, beschloß sie, sich dem wohligen Gefühl ganz hinzugeben.
Erst jetzt wurde ihr bewußt, wie sorgsam Erich es in New York vermieden hatte, das Haus zu beschreiben.
Was hatte er doch gesagt? Ach ja: »Seit Carolines Tod ist es kaum verändert worden. Die Neuerungen beschränkten sich auf ein paar Vorhänge im Gästezimmer.« Solche und ähnliche vage Äußerungen.
Lag es nur daran, daß in all den Jahren nichts abgenutzt war, oder pflegte er die Dinge, die ihn an seine Mutter erinnerten, mit religiöser Inbrunst? Der Duft, den sie geliebt hatte, hing immer noch im Schlafzimmer. Ihre Bürsten und Kämme und ihr Nagelzeug lagen immer noch auf der Frisierkommode. Jenny fragte sich, ob vielleicht noch ein paar Haare Carolines in einer der Bürsten hingen.
Sein Vater hatte einen schrecklichen Fehler gemacht, als er zuließ, daß Erichs Kinderzimmer unberührt erhalten blieb, wie für die Ewigkeit eingefroren, als ob das Wachstum in diesem Haus mit Carolines Tod aufgehört hätte. Bei dem Gedanken wurde ihr unbehaglich zumute, und sie drängte ihn zurück.
Denk lieber an Erich und an dich selbst, sagte sie sich.
Vergiß die Vergangenheit. Erinner dich, daß wir jetzt zusammengehören. Ihr Puls ging schneller.
Sie dachte an das hübsche neue Nachthemd und den Morgenrock in ihrem neuen Koffer. Sie hatte beides von ihrem letzten Gehalt bei Bergdorf Goodman gekauft und war sich dabei schrecklich leichtsinnig vorgekommen, aber sie wollte in ihrer Hochzeitsnacht wahrhaft wie eine Braut aussehen.
Alle Sorgen fielen plötzlich von ihr ab, sie stieg aus der Wanne, zog den Stöpsel heraus und griff nach einem Frotteetuch. Der Spiegel über dem Waschbecken war mit Dampf überzogen. Sie fing an, sich abzutrocknen, hielt dann inne und wischte ihn ab. Sie hatte das Bedürfnis, sich inmitten all des Neuen zu sehen, ihr Bild wiederzufinden. Als das Glas klar wurde, blickte sie hinein. Aber es waren nicht ihre blaugrünen Augen, die den Blick erwiderten.
Sie sah Erichs Gesicht, seine tiefblauen Augen, die ihren Blick im Spiegel trafen. Er war so leise hereingekommen, daß sie ihn nicht gehört hatte. Sie wirbelte herum und hielt instinktiv das Handtuch vor ihre Blöße, ließ es dann aber sinken.
»Oh, du hast mich erschreckt«, sagte sie. »Ich hab’
dich nicht gehört.«
Sein Blick ließ ihr Gesicht nicht los. »Ich dachte, du willst sicher dein Nachthemd, Liebling. Hier ist es.«
Er hielt ein seegrünes Satinnachthemd hoch, das vorn und hinten einen tiefen, V-förmigen Ausschnitt hatte.
»Erich, ich habe doch ein neues Nachthemd. Hast du dies für mich gekauft?«
»Nein«, sagte Erich. »Es ist von Caroline.« Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen und lächelte sonderbar. Seine Augen ruhten auf ihr und schimmerten feucht vor Liebe. Als er wieder redete, war sein Ton beinahe flehend. »Trag es heute nacht, Jenny. Tu mir den Gefallen.«
8
Sie starrte minutenlang auf die Badezimmertür und wußte nicht, was sie machen sollte. Ich will nicht das Hemd einer Toten anziehen, protestierte sie stumm. Der Satin fühlte sich kühl und schmiegsam an.
Nachdem Erich ihr das Nachthemd gegeben hatte, war er abrupt aus dem Zimmer gegangen. Sie fing an zu zittern und sah zu dem Koffer hinüber. Sollte sie einfach ihr Nachthemd und ihren Morgenmantel anziehen, einfach sagen: »Dies ist mir lieber, Erich?«
Sie dachte an das Gesicht, das er gemacht hatte, als er ihr das Nachthemd seiner Mutter reichte.
Vielleicht paßt es nicht, hoffte sie. Dann wäre das Problem
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