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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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aus dem Raum und lief den breiten Flur entlang. Als sie an Erichs altem Zimmer vorbeikam, blickte sie hinein, blieb dann wie angewurzelt stehen. Die Tagesdecke war zurückgeschlagen. Die Kissen waren zerwühlt. Sie ging hinein und faßte das Laken an. Es war noch warm. Erich hatte ihr Schlafzimmer verlassen und sich hier hingelegt. Warum?
    Er schläft nicht viel, dachte sie. Wahrscheinlich wollte er sich nicht dauernd von einer Seite auf die andere wälzen und mich stören. Er ist es gewohnt, allein zu schlafen. Vielleicht wollte er lesen.
    Aber er hatte gesagt, er habe nicht mehr in diesem Zimmer geschlafen, seit er zehn war.
    Schritte kamen den Flur entlang. »Mami, Mami!«
    Sie eilte hinaus, bückte sich und breitete die Arme aus.
    Beth und Tina rannten ihr noch ganz schlaftrunken entgegen.
    »Mami, wir haben dich gesucht«, sagte Beth vorwurfsvoll.
    »Schön hier«, piepste Tina dazwischen.
    »Wir haben ein Geschenk«, sagte Beth.
    »Ein Geschenk? Was denn, mein Kleines?«
    »Ich auch«, rief Tina. »Danke, Mami.«
    »Es war auf dem Kissen«, erklärte Beth.
    Jenny holte tief Luft und starrte hin: Die beiden kleinen Mädchen hielten je eine kleine runde Fichtennadelseife in der Hand.
    Sie zog den Kindern die neuen roten Cord-Overalls und gestreifte T-Shirts an. »Keine Schule«, erklärte Beth bestimmt.
    »Keine Schule«, bekräftigte Jenny fröhlich. Schnell schlüpfte sie in Hosen und einen Pullover, und dann gingen sie zusammen hinunter. Die Putzfrau war eben gekommen. Sie hatte einen hageren Körper, zu dem die breiten Schultern und die kräftigen Arme nicht recht passen wollten. Die kleinen Augen in dem pausbäckigen Gesicht blickten reserviert, die Frau sah aus, als ob sie selten lachte. Die zu straff geflochtenen Haare schienen die Haut am Haaransatz hochzuziehen, so daß das Gesicht fast maskenhaft wirkte.
    Jenny streckte die Hand aus. »Sie sind sicher Elsa. Ich bin…« Sie wollte ›Jenny‹ sagen, aber da fiel ihr ein, wie ärgerlich Erich gewesen war, weil sie Joe zu freundlich begrüßt hatte. »Ich bin Mrs. Krueger.« Sie stellte die Mädchen vor.
    Elsa nickte. »Ich tue mein Bestes.«
    »Das sehe ich«, sagte Jenny. »Es ist überall blitzblank.«
    »Sagen Sie Mr. Krueger, der Fleck auf der Tapete im Eßzimmer ist nicht von mir. Vielleicht hatte er Farbe an der Hand.«
    »Ich habe gestern abend keinen Fleck gesehen.«
    »Ich zeige ihn Ihnen.«
    Auf der Tapete am Fenster des Eßzimmers war ein kleiner Tupfen. Jenny betrachtete ihn. »Mein Gott, man braucht beinahe eine Lupe, um ihn zu erkennen.«
    Elsa ging ins Wohnzimmer und fing dort an zu putzen, und Jenny und die Mädchen frühstückten in der Küche.
    Als sie fertig waren, holte sie den Kindern ihre Malbücher und Buntstifte. »Wißt ihr was?« schlug sie vor, »ihr laßt mich jetzt noch in Ruhe eine Tasse Kaffee trinken, und dann gehen wir ein bißchen spazieren.«
    Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Nur Erich konnte den Kindern die Seife auf das Kopfkissen gelegt haben.
    Es war ja auch ganz normal, daß er heute morgen nach ihnen geschaut hatte, und daß er Kiefernduft liebte, hatte ebenfalls nichts Verwerfliches. Achselzuckend trank sie ihren Kaffee aus und zog den Kindern warme Anzüge über.
    Es war kalt, aber windstill. Erich hatte ihr gesagt, der Winter in Minnesota reiche von streng bis arktisch:
    »Aber keine Angst«, fuhr er fort. »Dieses Jahr ist er nur mittelschlimm.«
    An den Eingangsstufen zögerte sie. Vielleicht wollte Erich ihnen die Scheunen und Ställe zeigen und sie mit den Arbeitern bekannt machen. »Gehen wir dorthin«, schlug sie vor.
    Sie führte Tina und Beth zur Rückseite des Hauses und dann zu den offenen Feldern an der Ostseite. Sie liefen auf dem verharschten Schnee, bis das Haus kaum noch zu sehen war. Als sie dann auf die Landstraße zusteuerten, die den östlichen Rand der Farm markierte, bemerkte Jenny ein eingezäuntes Stück Land — es mußte der Familienfriedhof sein. Zwischen den weißen Latten das Zauns konnte sie sechs oder sieben graue Grabsteine sehen, offenbar aus Granit.
    »Was ist das, Mami?« fragte Beth.
    Jenny öffnete die Pforte und ging mit den beiden auf den Friedhof. Sie schritt von einem Grabstein zum anderen und las die Inschriften. Erich Fritz Krueger, 1843 — 1913, und Gretchen Krueger, 1847 — 1915. Das mußten Erichs Urgroßeltern gewesen sein. Zwei kleine Mädchen: Martha, 1875 — 1877, und Amanda, 1878 —
    1890. Erichs Großeltern, Lars und Olga Krueger, beide 1880 geboren. Sie

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