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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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war 1941 gestorben, er 1948. Ein Baby, Erich Hans, hatte im Jahre 1911 nur acht Monate gelebt. Soviel Leid, dachte Jenny, soviel Kummer. In der einen Generation zwei kleine Mädchen verloren, in der nächsten ein Baby. Wie ertragen die Menschen solche Verluste? Auf dem nächsten Stein stand ›Erich John Krueger, 1915 —1979‹. Erichs Vater.
    Am Südende des Friedhofs, so weit wie möglich von den anderen getrennt, war das Grab, das sie gesucht hatte, ohne sich darüber klar zu sein. Die Inschrift lautete
    ›Caroline Bonardi-Krueger, 1924 —1956‹.
    Erichs Vater und Mutter waren nicht zusammen begraben. Warum? Die anderen Steine waren verwittert.
    Dieser sah aus, als sei er erst kürzlich gereinigt worden.
    Ging Erichs Liebe zu seiner Mutter so weit, daß er selbst ihrem Grabstein ungewöhnliche Sorgfalt schenkte? Jenny fühlte einen angstvollen Stich, den sie sich nicht erklären konnte. Sie versuchte zu lächeln. »Und nun los, ihr zwei.
    Wir laufen jetzt über das Feld da um die Wette.«
    Lachend rannten sie hinter ihr her. Sie ließ sich einholen und tat so, als hätte sie Mühe, mit ihnen Schritt zu halten. Schließlich blieben sie alle außer Atem stehen.
    Beth und Tina waren sichtlich überglücklich, sie bei sich zu haben. Ihre Wangen waren rosig, ihre Augen glänzten freudig. Selbst Beths sonst so ernster Ausdruck war verschwunden. Jenny zog ihre Töchter heftig an sich.
    »Gehen wir noch zu dem kleinen Hügel dort«, sagte sie. »Und dann laufen wir wieder nach Haus.«
    Als sie die Anhöhe erreichten, sah Jenny zu ihrer Überraschung auf der anderen Seite ein ansehnliches weißes Farmhaus, das sich an den Hang duckte. Sie wurde sich bewußt, daß es die ursprüngliche Farm sein mußte, die nun vom Verwalter bewohnt wurde.
    »Wer wohnt da?« fragte Beth.
    »Ein paar Leute, die für Daddy arbeiten.«
    Während sie das Haus betrachteten, ging die Tür auf.
    Eine Frau trat auf die Veranda und winkte ihnen zu, offensichtlich, um sie aufzufordern, näher zu kommen.
    »Beth, Tina, kommt mal«, sagte Jenny. »Ich glaube, wir lernen gleich unsere ersten Nachbarn kennen.«
    Sie hatte den Eindruck, daß die Frau sie starr ansah, während sie über das Feld liefen. Trotz der Kälte stand sie vor der weit geöffneten Tür. Wegen ihres schmächtigen Wuchses und der hängenden Schultern dachte Jenny zuerst, sie sei älter, doch als sie näher kam, sah sie, daß sie höchstens Ende fünfzig sein konnte. Ihr brünettes Haar hatte graue Strähnen und war recht nachlässig zu einem hoch sitzenden Knoten gebunden.
    Die randlosen Brillengläser vergrößerten traurige graue Augen. Sie trug eine lange, formlose Strickjacke über einer ausgebeulten Hose aus Trikotmaterial. Der Pullover betonte ihre knochigen Schultern und ihren mageren Oberkörper.
    Aber man sah ihrem Gesicht an, daß es einmal hübsch gewesen sein mußte, und der etwas verkniffen wirkende Mund war immer noch wohlgeformt. Das Kinn hatte ein winziges Grübchen, und Jenny stellte sie sich unwillkürlich jünger und unbeschwert vor. Die Frau starrte sie an, als sie sich und die Kinder vorstellte.
    »Genau, wie Erich es gesagt hat«, sagte sie leise und nervös. »›Rooney‹, hat er gesagt, ›warten Sie, bis Sie Jenny kennenlernen. Sie werden denken, Caroline steht vor Ihnen.‹ Aber er wollte nicht, daß ich es weitererzähle.« Sie bemühte sich sichtlich um Fassung.
    Impulsiv streckte Jenny beide Hände aus. »Und Erich hat mir von Ihnen erzählt, Rooney. Daß Sie schon so lange hier auf der Farm sind. Ihr Mann ist der Verwalter, ja? Ich habe ihn noch nicht kennengelernt.«
    Die Frau ging nicht darauf ein. »Sie sind aus New York?«
    »Ja.«
    »Wie alt sind Sie?«

    »Sechsundzwanzig.«
    »Arden, unsere Tochter, ist siebenundzwanzig. Clyde sagt, sie ist nach New York gegangen. Vielleicht kennen Sie sie?« Die Frage klang inbrünstig.
    »Ich fürchte, nein«, antwortete Jenny. »New York ist furchtbar groß. Als was arbeitet sie? Und wo wohnt sie?«
    »Ich weiß es nicht. Arden ist vor zehn Jahren fortgelaufen. Sie hätte nicht fortlaufen brauchen. Sie hätte ebensogut sagen können: ›Ma, ich möchte nach New York.‹ Ich habe ihr nie etwas abgeschlagen. Ihr Dad war ein bißchen streng mit ihr. Ich nehme an, sie wußte, daß er ihr nicht erlaubt hätte, schon mit siebzehn von zu Hause fortzugehen. Aber sie war so ein gutes Mädchen, sie war ja auch Vorsitzende der Jugendgruppe hier. Ich wußte nicht, daß sie so schrecklich gerne weg wollte. Ich dachte,

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