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Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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gesehen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Und du hast dich wahrscheinlich gewundert, warum sie und mein Vater nicht zusammen beigesetzt sind wie die anderen?«
    »Ich war überrascht.«
    »Es ist nichts Geheimnisvolles dabei. Caroline ließ jene Kiefern selbst pflanzen. Ungefähr zur selben Zeit sagte sie meinem Vater, sie wolle am Südende des Friedhofs begraben werden, wo die Kiefern ihr Schutz geben würden. Er war nie richtig einverstanden, aber er respektierte ihren Wunsch. Vor seinem Tod sagte er zu mir, er wolle neben seinen Eltern beigesetzt werden. Ich fand irgendwie, daß sie beide recht hatten. Caroline wollte sowieso immer mehr Freiheit haben, als Vater ihr lassen wollte. Ich glaube, später hat er es bereut, daß er sich so lange über ihre Kunst lustig gemacht hatte, bis sie ihren Skizzenblock fortwarf. Was für einen Unterschied hätte es gemacht, wenn sie gemalt hätte, statt Steppdecken zu nähen! Er hatte unrecht. Unrecht!«
    Er verstummte und starrte ins Feuer. Sie hatte den Eindruck, er sei sich ihrer Gegenwart nicht mehr bewußt.
    »Aber so war er«, flüsterte er.
    Mit einem, angstvollen Schauer erkannte Jenny, daß Erich zum erstenmal angedeutet hatte, die Beziehung zwischen seiner Mutter und seinem Vater sei nicht ungetrübt gewesen.
    Jenny gewöhnte sich einen Tageslauf an, den sie unendlich befriedigend fand. Jeden Tag wurde ihr von neuem klar, was sie alles dadurch versäumt hatte, daß sie tagsüber so lange von den Kindern getrennt gewesen war.
    Sie entdeckte, daß Beth, das praktisch veranlagte, stille Kind, entschieden musikalisches Talent hatte und Melodien, die sie nur wenige Male gehört hatte, auf dem Spinett in dem kleinen Wohnzimmer spielen konnte.

    Tinas weinerliche Art war wie fortgeblasen, als sie sich in der neuen Atmosphäre eingelebt hatte. Sie, die früher beim geringsten Anlaß losgeheult hatte, wurde ausgeglichen und fröhlich und begann sogar zu zeigen, daß sie Sinn für Humor hatte.
    Erich ging gewöhnlich bei Tagesanbruch zum Atelier und kam immer erst mittags zurück. Jenny und die Mädchen frühstückten gegen acht, und um zehn, wenn die Sonne stärker geworden war, zogen sie dicke Sachen über und gingen nach draußen.
    Ihre Spaziergänge folgten bald einem bestimmten Muster. Zuerst besuchten sie den Hühnerstall, wo Joe den Kleinen zeigte, wie man die frischgelegten Eier einsammelte. Joe war zu dem Schluß gekommen, daß er seine Stelle nach Barons Unfall nur aufgrund von Jennys Anwesenheit behalten hatte. »Ich wette, Mr. Krueger hätte mich hinausgeworfen, wenn er nicht so froh darüber wäre, daß Sie hier sind. Meine Ma sagt, er ist nicht der Mann, der leicht verzeiht.«
    »Ich hatte wirklich nichts damit zu tun«, wandte Jenny ein.
    »Dr. Garrett sagt, daß ich Barons Bein wirklich gut versorge. Wenn es wärmer wird und er es ein bißchen trainieren kann, ist es bald wieder ganz in Ordnung. Eins kann ich Ihnen sagen, Mrs. Krueger, neuerdings sehe ich zehnmal am Tag nach, ob die Stalltür richtig zu ist.«
    Jenny wußte, was er meinte. Sie hatte instinktiv selbst angefangen, viele Kleinigkeiten ein zweitesmal nachzuprüfen, Dinge, auf die zu achten ihr früher nicht in den Sinn gekommen wäre. Erich war mehr als ordentlich, er war ein Pedant, ein Perfektionist. Sie lernte schnell, an einer gewissen Verkrampfung seines Gesichts oder Körpers abzulesen, ob ihn etwas geärgert hatte — eine offengelassene Schranktür, ein Glas, das im Spülbecken stehengeblieben war.
    Wenn Erich morgens nicht zur Hütte ging, arbeitete er mit Clyde Toomis, dem Verwalter, in dem kleinen Büro an der Scheune. Clyde, ein untersetzter Mann um die sechzig mit einem wettergegerbten, gefurchten Gesicht und weißblonden Haaren, hatte etwas Barsches an sich, das manchmal an Unhöflichkeit grenzte.
    Als Erich ihn Jenny vorstellte, sagte er: »In Wirklichkeit führt Clyde die Farm. Ich glaube oft, daß ich hier nur Dekoration bin.«
    »Nun, vor einer Staffelei bist du gewiß nicht nur Dekoration«, antwortete sie lachend, wunderte sich aber, daß Clyde nicht wenigstens der Form halber etwas sagte, um ihm zu widersprechen.
    »Gefällt es Ihnen hier?«
    »Ja, sehr.« Sie lächelte.
    »Eine ganz schöne Umstellung für einen Stadtmenschen«, sagte Clyde übergangslos. »Hoffentlich ist es nicht zu viel für Sie.«
    »Bestimmt nicht.«
    »Komisch«, fuhr er fort. »Die Landmädchen wollen unbedingt in die Stadt. Die Stadtmädchen behaupten, daß sie das Land lieben.« Sie glaubte eine bittere Note

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