Schrei in der Nacht
nicht!«
»Jen, Granite Place ist auf jeder Landkarte. Und ich nehme an, jeder in der Gegend weiß, wo die feinen Herrschaften wohnen.«
Jenny fühlte, wie ihre Handflächen feucht wurden, während sie den Hörer umklammerte. Sie konnte sich den Klatsch im Ort vorstellen, wenn Kevin auftauchte und fragte, wo die Krueger-Farm sei. Es würde ihm ähnlich sehen, wenn er prompt erzählte, er sei mit ihr verheiratet gewesen. Sie erinnerte sich an das Gesicht, das Erich gemacht hatte, als er Kevin an ihrem Hochzeitstag im Hausflur gesehen hatte.
»Kev«, flehte sie, »komm bitte nicht. Du wirst alles für uns verderben. Wir drei sind sehr glücklich hier. Ich bin immer fair zu dir gewesen. Habe ich dir nicht immer Geld gegeben, wenn du etwas haben wolltest, obgleich ich oft selbst kaum wußte, wovon ich die nächste Miete bezahlen sollte? Hast du das alles vergessen?«
»Nein, Jen, das weiß ich doch.« Seine Stimme hatte den vertraulichen, schmeichelnden Ton angenommen, den sie so gut kannte. »Ich bin übrigens wieder mal knapp bei Kasse, und du schwimmst im Geld. Wie wäre es, wenn du mir den Rest von dem Möbelgeld gibst?«
Jenny war auf einmal unsäglich erleichtert. Er wollte nur Geld. Das würde die Sache viel leichter machen.
»Wohin soll ich es schicken?«
»Ich hole es.«
Offensichtlich war er fest entschlossen, sie zu besuchen. Sie konnte ihm auf keinen Fall erlauben, ins Haus zu kommen, sie durfte ihn nicht einmal bis zum Ort lassen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, wieviel Mühe Erich sich gegeben hatte, den Kindern ihre neuen Namen einzuprägen — Beth Krueger, Tina Krueger.
In dem dreißig Kilometer entfernten Einkaufszentrum gab es ein kleines Restaurant. Es war der einzige Treffpunkt, der ihr im Augenblick einfiel. Schnell erklärte sie Kevin den Weg und verabredete sich für den nächsten Tag um ein Uhr mit ihm. Als sie aufgelegt hatte, ließ sie sich aufs Kissen zurücksinken. Die wohltuende Gelöstheit, die sie noch vor wenigen Minuten empfunden hatte, war dahin. Jetzt hatte sie Angst vor Erichs Anruf. Sollte sie ihm sagen, daß sie vorhatte, Kevin zu treffen?
Als das Telefon läutete, wußte sie immer noch nicht, wie sie sich verhalten sollte. Erichs Stimme klang gepreßt. »Du fehlst mir. Ich hätte nicht fahren sollen, Liebling. Haben die Kinder heute abend nach mir gefragt?«
Sie zögerte immer noch, ihm von Kevin zu erzählen.
»O ja, natürlich. Und Beth nennt ihre Puppen neuerdings
›Viehzeug‹.«
Erich lachte. »Sie werden eines Tages noch so reden wie Joe. Aber ich sollte dich jetzt schlafen lassen.«
Sie mußte es ihm sagen. »Erich …«
»Ja, Liebling?«
Sie hielt inne, erinnerte sich plötzlich, wie erstaunt er gewesen war, als sie zugegeben hatte, daß sie Kevin die Hälfte von dem Möbelgeld gegeben hatte, dachte an seine Bemerkung, ob sie Kevin damit vielleicht das Fahrgeld nach Minnesota geben wollte. Sie konnte ihm nicht sagen, daß sie sich mit Kevin traf. »Ich… ich liebe dich so sehr, Erich. Ich wünschte, du wärst hier.«
»Ich auch, Liebling. Gute Nacht.«
Sie konnte nicht schlafen. Der Mondschein drang ins Zimmer und brach sich in der Kristallschale. Jenny fand, daß sie fast wie eine Graburne aussah. Kann Asche nach Fichtennadeln riechen? fragte sie sich. Was für ein schrecklicher, verrückter Gedanke, schalt sie sich dann und wälzte sich wieder von einer Seite auf die andere.
Caroline war schließlich auf dem Familienfriedhof beigesetzt. Trotzdem war sie plötzlich so unruhig, daß sie aufstand und nach den Mädchen schaute. Sie schliefen beide fest. Beth hatte den Kopf auf die Hand gelegt. Tina hatte sich zusammengerollt wie ein Embryo, und das seidene Einfassungsband der Decke umrahmte ihr kleines Gesichtchen.
Jenny küßte sie behutsam. Sie sahen so zufrieden aus.
Sie dachte daran, wie glücklich sie waren, daß sie nun den ganzen Tag mit Jenny zusammen waren, sie dachte an ihre Begeisterung, als Erich ihnen die Ponys gezeigt hatte. Stumm schwor sie sich, alles zu tun, damit Kevin ihnen dieses neue Leben nicht verdarb.
12
Die Schlüssel für den Cadillac waren im Farmbüro, aber Erich bewahrte Zweitschlüssel für alle Gebäude und Maschinen in der Bibliothek auf. Logischerweise mußten die Reserveschlüssel für den Wagen auch dort sein.
Ihre Annahme traf zu. Sie steckte sie ein, gab den Mädchen früher als sonst zu essen und bereitete sie für den Mittagsschlaf vor. »Elsa, ich muß etwas besorgen.
Ich bin gegen zwei zurück.«
Elsa
Weitere Kostenlose Bücher