Schrei in der Nacht
gesehen, wie ich in das Auto stieg, würden sie wieder von vorn anfangen und mich vielleicht unter Anklage stellen, ein Verbrechen begangen zu haben?«
»Es hat keinen Sinn, darüber zu sprechen. Es gibt niemanden.«
O doch, dachte Jenny. War es möglich, daß irgend jemand gehört hatte, was Joe zu ihr gesagt hatte? Er hatte ziemlich laut geredet. Seine Mutter fing an, sich Sorgen zu machen, daß er zum Trinken neigte, genau wie sein Onkel. Und wenn er nun irgendwann mal in einer Kneipe erzählte, er habe gesehen, wie sie zu Kevin ins Auto gestiegen sei?
»Könnte ich einfach vergessen haben, daß ich mit ihm gefahren bin?« fragte sie zögernd.
Er legte wieder den Arm um sie. Er streichelte ihr Haar. »Es wäre auf jeden Fall ein furchtbarer Schock gewesen. Dein Mantel lag auf dem Sitz. Er hatte deinen Schlüssel in der Hand, als er gefunden wurde.
Möglicherweise war es so, wie ich schon gesagt habe —
er wollte dich küssen und nahm dir dabei den Schlüssel ab. Vielleicht hast du dich gewehrt. Das Auto rollte weiter. Du bist rechtzeitig ausgestiegen, bevor es die Böschung hinunterstürzte.«
»Ich weiß nicht«, sagte Jenny. »Ich kann es nicht glauben.«
Kurz bevor sie dann nach oben gehen wollten, sagte Erich: »Zieh bitte das grüne Nachthemd an, Liebling.«
»Es geht nicht.«
»Es geht nicht? Warum?«
»Es ist mir zu klein. Ich bekomme ein Kind.«
Kevin hatte bestürzt reagiert, als sie ihm eröffnet hatte, sie glaube, sie sei schwanger. »Mein Gott, Jen, wir können es uns nicht leisten. Geh zu einem Arzt.«
Erich geriet vor Freude außer sich. »Mein Liebling! O
Jen, deshalb hast du die letzte Zeit so elend ausgesehen.
Oh, mein Liebes. Ob es ein Junge wird?«
»Bestimmt«, sagte sie lachend und genoß die momentane Erlösung von all ihren Ängsten. »Er hat mir in drei Monaten schon mehr zugesetzt als die beiden Mädchen in neun.«
»Wir müssen sofort zu einem Arzt. Mein Sohn. Hättest du etwas dagegen, wenn wir ihn Erich nennen? Es ist Familientradition.«
»Nein, sicher — ich will es so.«
Sie lag in seinen Armen auf dem Sofa, und alles Mißtrauen zwischen ihnen war vergessen. »Jen, wir haben eine schlimme Zeit hinter uns. Wir werden all diese leidigen Dinge überwinden. Wir geben eine große Party, wenn ich aus San Francisco zurück bin. Du solltest jetzt nicht reisen, wo es dir nicht so gutgeht, nicht wahr?
Wir werden den Leuten hier zeigen, wer wir sind. Wir werden eine richtige Familie sein. Die Adoption ist spätestens im Sommer amtlich. Es tut mir leid um MacPartland, aber er ist jetzt wenigstens keine Bedrohung mehr. O Jen …«
Keine Bedrohung mehr, dachte sie. Sollte sie Erich von Joe erzählen? Nein, dieser Abend gehört dem Baby.
Schließlich gingen sie nach oben. Erich war schon im Bett, als sie aus dem Badezimmer kam. »Es war schrecklich, ohne dich zu schlafen«, sagte er. »Ich war so allein.«
»Ich war auch furchtbar allein.« Die körperliche Nähe zwischen ihnen, die durch die Trennung noch an Intensität gewann, half ihr, die vielen Wochen, in denen sie so gelitten hatte, fürs erste zu vergessen. »Ich liebe dich, Jenny. Ich liebe dich unendlich.«
»Ich dachte schon, ich verliere den Verstand, diese Kälte zwischen uns…«
»Ich weiß.« Dann: »Jen?«
»Ja, Liebling.«
»Ich bin gespannt, wem das Baby ähneln wird.«
»Mmm, ich hoffe, dir… Ich hoffe, es ist dein Ebenbild.«
»Wie sehr ich das auch hoffe.« Seine Atemzüge wurden regelmäßiger.
Sie spürte, daß sie dabei war einzuschlafen, doch dann war ihr, als bekäme sie plötzlich eine eisige Dusche.
Großer Gott — konnte Erich daran zweifeln, daß er der Vater des Kindes war, war das möglich? Natürlich nicht.
Es lag alles an ihren angegriffenen Nerven. Neuerdings brachte sie einfach alles aus der Fassung. Aber er hatte es so merkwürdig ausgedrückt…
Am Morgen sagte er: »Du hast im Schlaf geweint, Jenny.«
»Wirklich? Ich erinnere mich nicht. Es muß im Traum gewesen sein.«
»Ich liebe dich.«
»Liebe ist Vertrauen, Erich. Denk bitte immer daran, daß Liebe und Vertrauen untrennbar verbunden sind.«
Drei Tage später fuhr er mit ihr zu einem Gynäkologen in Granite Place. Dr. Elmendorf war ihr auf den ersten Blick sympathisch. Er war klein und glatzköpfig und hatte wissende Augen; sein Alter war undefinierbar, irgendwo zwischen fünfzig und fünfundsechzig.
»Hatten Sie gelegentlich leichte Blutungen, Mrs.
Krueger?«
»Ja, aber das ist vorher auch beide Male passiert,
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