Schrei in der Nacht
er der Wucht des fallenden Tieres entging. Dann lag er regungslos da. Sein Atem kam in keuchenden Stößen, sein Blick war vom Schock getrübt, sein Arm lag in einem grotesken Winkel abgeknickt. Clyde ließ das Gewehr fallen und rannte zu ihm.
»Sie dürfen ihn nicht bewegen!« rief Jenny. »Rufen Sie einen Krankenwagen. Schnell.«
Sie versuchte, den toten Baron nicht zu streifen, kniete sich neben Joe hin, strich ihm das Haar aus der Stirn, wischte ihm Blut aus den Augen, drückte auf den klaffenden Spalt an seinem Haaransatz. Männer kamen von den Feldern gerannt. Sie hörte eine Frau schluchzen.
Maude Ekers. »Joey, Joey.«
»Ma…«
»Joey.«
Der Krankenwagen kam. Weißgekleidete Pfleger drängten die Neugierigen schnell zurück. Dann lag Joe auf einer Trage, mit geschlossenen Augen und wächsernem Gesicht. Die Stimme eines Pflegers flüsterte: »Ich glaube, er stirbt.«
Maude Ekers schrie auf.
Joes Augen öffneten sich und richteten sich auf Jenny.
Was er sagte, klang verwirrt, aber überraschend deutlich:
»Ich hätte es nie gesagt, daß ich gesehen hab’, wie Sie in das Auto gestiegen sind, ehrlich nicht«, sagte er.
Maude drehte sich nach Jenny um, während sie in den Wagen kletterte, in dem ihr Sohn lag. »Wenn mein Junge stirbt, haben Sie die Schuld, Mrs. Krueger!« schrie sie.
»Ich verfluche den Tag, an dem Sie hierhergekommen sind. Gott strafe euch Kruegers für das, was ihr meiner Familie angetan habt! Gott strafe das Kind, das Sie tragen, egal von wem es ist!«
Der Krankenwagen raste fort, und seine heulende Sirene zerschnitt den friedlichen Sommermorgen.
Erich kam einige Stunden später nach Haus. Er charterte ein Flugzeug, um einen Chirurgen von der Mayo-Klinik zu holen, und telefonierte nach Privatschwestern. Dann ging er in den Stall, hockte sich neben Baron und tätschelte den schmalen, edlen Kopf des toten Tiers.
Mark hatte den Inhalt des Futtereimers bereits analysiert. Das Ergebnis: Hafer mit Strychnin vermischt.
Später fuhr Sheriff Gunderson mit seinem neuen Privatauto am Eingang vor. »Mrs. Krueger, eine ganze Reihe von Leuten haben gehört, wie Joe sagte, er hätte es nie weitererzählt, daß er Sie damals am Abend in den Wagen steigen sah. Was meinte er damit?«
»Ich habe keine Ahnung, was er damit gemeint haben könnte.«
»Mrs. Krueger, Sie waren dabei, als Dr. Garrett Joe kürzlich ausschalt, weil er das Rattengift beim Hafer stehengelassen hatte. Sie wußten, wie es auf Baron wirken würde. Sie haben gehört, wie Dr. Garrett Joe warnte, Baron würde durchdrehen, wenn er an Strychnin geriet.«
»Hat Dr. Garrett Ihnen das gesagt?«
»Er hat mir gesagt, daß Joe unvorsichtig mit dem Gift war, und daß Sie und Erich dabei waren, als er ihn deshalb angeschrien hat.«
»Was wollen Sie von mir? Könnten Sie bitte etwas deutlicher werden?«
»Nichts Bestimmtes, Mrs. Krueger. Joe hat behauptet, daß er die Kisten verwechselt hat. Ich glaube ihm nicht.
Niemand glaubt ihm.«
»Wird er durchkommen?«
»Das kann man noch nicht sagen. Selbst wenn er es schafft, wird er noch lange verdammt krank sein. Wenn er die nächsten drei Tage übersteht, verlegen sie ihn in die Mayo-Klinik.« Der Sheriff wandte sich zum Gehen.
»Wie seine Ma gesagt hat, da ist er wenigstens in Sicherheit.«
28
Die Schwangerschaft machte sich zunehmend bemerkbar und beanspruchte Jenny so ausschließlich, daß sie anfing, die Tage und Wochen bis zur Geburt zu zählen. In zwölf Wochen würde Erich einen Sohn haben, in elf, in zehn Wochen. Dann würde er wieder bei ihr schlafen. Und ihr ging es dann wieder gut. Das Gerede im Ort hörte endlich mangels neuer Nahrung auf. Das Baby war Erich bestimmt wie aus dem Gesicht geschnitten.
Joe war an der Brust operiert worden, und der Eingriff war gelungen, aber er konnte die Mayo-Klinik erst Ende August verlassen. Maude hatte ein möbliertes Apartment in der Nähe vom Krankenhaus gemietet und wohnte solange dort. Jenny wußte, daß Erich sämtliche Rechnungen bezahlte.
Jetzt ritt Erich auf Feuermaid, wenn er mit den Mädchen ausritt. Er erwähnte Baron ihr gegenüber mit keinem Wort. Von Mark hörte sie, daß Joe weiterhin behauptete, er müsse das Gift aus Versehen selbst in den Hafer getan haben, und er habe keine Ahnung, was er gemeint hätte, als er sagte, er habe sie an jenem Abend gesehen.
Daß ihm kein Mensch glaubte, das konnte Jenny sich selbst denken.
Erich arbeitete nun weniger in der Hütte und betätigte sich häufiger mit Clyde und den
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