Schrei in der Nacht
sie jetzt oft Krämpfe in den Beinen und hatte Angst, hinzufallen. Rooney kam jeden Nachmittag rüber. Gemeinsam hatten sie eine Grundausstattung für das Baby gefertigt. »Ich werde nie richtig nähen können«, seufzte Jenny, aber auch so machte es ihr Spaß, einfache Hemden aus dem geblümten Stoff zu machen, den Rooney in der Stadt bestellte.
Es war Rooney, die ihr die Ecke des Speichers zeigte, wo das mit Laken bedeckte Korbkinderbett der Kruegers stand. »Ich werde einen Behang dafür machen«, sagte Rooney. Die Arbeit schien sie mit neuem Leben zu erfüllen, und sie war mehrere Tage hintereinander kein einziges Mal wirr im Kopf.
»Ich stelle das Kinderbett in Erichs altes Zimmer«, sagte Jenny zu Rooney. »Ich will den Mädchen auf keinen Fall ihr Zimmer wegnehmen, und die anderen Räume sind zu weit weg. Ich hätte sonst Angst, daß ich das Kind nachts nicht höre, wenn es schreit.«
»Das hat Caroline auch gesagt«, berichtete Rooney.
»Sie wissen ja, daß Erichs Zimmer vorher ein Teil vom Schlafzimmer der Eltern war, eine Art großer Alkoven.
Caroline stellte das Bett und eine Kinderkommode hinein. John hatte etwas dagegen, daß das Baby im selben Zimmer schlief. Er sagte, daß er nicht so ein großes Haus hätte, um dann auf Zehenspitzen um einen Säugling herumzuschleichen. Deshalb haben sie dann die Trennwand einziehen lassen.«
»Die Trennwand?«
»Hat Erich es Ihnen denn nicht erzählt? Ihr Bett stand früher an der Südwand. Die Schiebetür ist jetzt genau hinter dem Kopfende.«
»Die Schiebetür?« sagte Jenny entgeistert. »Zeigen Sie mir die mal, Rooney.«
Sie gingen nach oben in Erichs altes Zimmer. »Von Ihrer Seite kann man sie natürlich nicht aufmachen, weil das Kopfende davor ist«, sagte Rooney. »Aber von hier aus geht es.« Sie schob den hohen Schaukelstuhl zur Seite und zeigte auf einen in der tapezierten Wand eingelassenen Griff. »Sehen Sie, es geht ganz leicht.«
Geräuschlos glitt die Schiebetür auf. »Caroline hat sie machen lassen, damit man die beiden Zimmer voneinander abtrennen konnte, als Erich größer war.
Mein Clyde hat die Tür gemacht, und Josh Brothers hat ihm dabei geholfen. Ist es nicht eine gute Arbeit?
Würden Sie je vermuten, daß sie da ist?«
Jenny trat in die Öffnung. Sie stand jetzt genau hinter dem Kopfende ihres Betts. Sie beugte sich darüber.
Deshalb hatte sie also das Gefühl gehabt, es sei jemand da, deshalb war sie in Berührung mit einem Gesicht gekommen, wenn sie die Hand ausgestreckt hatte. Sie dachte an die allgegenwärtigen langen Haare in ihrem Traum. Wenn Rooney ihren straffen Knoten löste, waren die Haare sicher recht lang. »Rooney«, sagte sie möglichst beiläufig, »kommen Sie manchmal nachts in dieses Zimmer und machen die Schiebetür auf?
Vielleicht, um nach mir zu sehen?«
»Ich glaube nicht. Aber —« Rooney trat näher und sprach direkt in Jennys Ohr. »Ich würde es Clyde nicht erzählen, weil er sonst denkt, ich bin verrückt. Er macht mir manchmal schreckliche Angst. Er sagt, er würde mich zu meinem eigenen Besten in eine Anstalt stecken.
Aber das ändert nichts daran, daß ich Caroline in den letzten Monaten oft auf der Farm gesehen habe, wirklich, Jenny. Sie müssen mir glauben. Einmal bin ich ihr ins Haus nachgegangen, und sie ging die hintere Treppe hoch. Deshalb denke ich immer, wenn Caroline zurückkommen kann, wird Arden eines Tages vielleicht auch zurückkommen.«
29
Diesmal waren es keine vorzeitigen Wehen. Jenny lag ganz still im Bett und achtete auf den Zeitabstand zwischen den Kontraktionen. Zwei Stunden lang waren sie alle zehn Minuten gekommen, dann plötzlich alle fünf Minuten. Sie tätschelte die Wölbung ihres Bauchs. Wir haben es geschafft, Mr. Krueger junior, dachte sie. Eine Zeitlang war ich nicht sicher, daß es klappen würde.
Dr. Elmendorf hatte bei ihrem letzten Besuch vorsichtigen Optimismus ausgestrahlt. »Das Baby wiegt ungefähr viereinhalb Pfund«, hatte er gesagt. »Ich wünschte, es wäre etwas schwerer, aber das ist schon ein ordentliches Gewicht. Ich war offen gesagt sicher, daß es eine Frühgeburt wird.« Er hatte eine Ultraschallaufnahme gemacht. »Sie hatten recht, Mrs. Krueger. Sie bekommen einen Jungen.«
Sie ging den Flur hinunter, um Erich zu rufen. Seine Schlafzimmertür war geschlossen. Sie ging sonst nie dort hinein. Zögernd klopfte sie. »Erich«, rief sie leise. Keine Antwort. Ob er in der Nacht noch zur Hütte gegangen war? Er hatte wieder angefangen zu malen, war
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