Schrei in der Nacht
anderen Männern auf der Farm. Als sie ihn nach dem Grund fragte, erklärte er:
»Ich bin einfach nicht in der richtigen Stimmung, um zu malen.«
Er war freundlich zu ihr, aber auf eine distanzierte Art.
Sie hatte in einem fort das Gefühl, daß er sie beobachtete.
Abends saßen sie meist im Wohnzimmer und lasen. Er redete kaum mit ihr, doch wenn sie aufblickte, wandte er oft plötzlich den Blick, als ob sie ihn nicht dabei ertappen sollte, wie er sie musterte.
Etwa einmal in der Woche schaute Sheriff Gunderson vorbei und tat so, als wollte er nur guten Tag sagen. Aber er kam immer wieder auf dieselben Themen zurück.
»Gehen wir doch noch mal den Abend durch, an dem Kevin MacPartland herkam, Mrs. Krueger.« Oder er stellte Mutmaßungen an: »Joe ist ganz schön in Sie verschossen, nicht? Jedenfalls so sehr, daß er nichts auf Sie kommen läßt. Möchten Sie vielleicht etwas dazu sagen, Mrs. Krueger?«
Das Gefühl, daß nachts jemand im Zimmer war, wollte nicht verschwinden. Es war immer das gleiche. Sie fing an zu träumen, sie sei im Wald; etwas kam auf sie zu und war irgendwo über ihr; sie streckte die Hand aus und fühlte lange Haare, die Haare einer Frau. Dann kam der seufzende Ton. Sie griff nach dem Schalter der Nachttischlampe, und wenn sie sie angeknipst hatte, sah sie, daß sie allein im Zimmer war.
Zuletzt erzählte sie Dr. Elmendorf von dem Traum.
»Wie erklären Sie sich das?« fragte er.
»Ich weiß nicht.« Sie zögerte. »Nein, das stimmt nicht ganz. Ich muß immer denken, daß es irgend etwas mit Caroline zu tun hat.« Sie erzählte ihm von Caroline und berichtete, daß alle Leute, die ihr nahegestanden hatten, immer noch irgendwie das Gefühl hätten, sie sei noch da.
»Ich vermute, Ihre Phantasie spielt Ihnen einen Streich.
Möchten Sie, daß ich bei einem guten Psychiater einen Termin für Sie vereinbare?«
»Nein. Sie haben sicher recht.«
Sie ließ ein paarmal nachts das Licht brennen, überlegte es sich dann aber wieder anders. Das Bett stand rechts von der Tür. Das hohe Kopfende war an der nördlichen Wand. Eine Seite war nahe bei der Ostwand des Zimmers. Sie fragte sich, ob Erich wohl einverstanden war, das Bett so hinzurücken, daß es genau zwischen den Fenstern an der Südwand stand. Dann würde sie mehr Mondlicht haben und konnte hinausschauen, wenn sie nicht schlief. Die Ecke, in der das Bett jetzt stand, war schrecklich dunkel.
Aber sie wußte, daß es gar keinen Zweck hatte, ihn darum zu bitten.
Eines Morgens fragte Beth: »Mami, warum hast du nicht mit mir geredet, als du gestern Nacht in unserm Zimmer warst?«
»Ich war nicht in euerm Zimmer, Mäuschen.«
»Doch, natürlich!«
Ob sie vielleicht schlafwandelte?
Die zaghaften Lebenszeichen in ihrem Inneren hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den kräftigen Tritten, die sie von Beth und Tina her kannte. Mach, daß das Baby gesund ist, betete sie stumm. Mach, daß ich Erich einen Sohn schenke.
Die heißen Augustnachmittage gingen in angenehm kühle Abende über. Der Wald bekam die ersten goldenen Tupfen. »Der Herbst kommt dieses Jahr bestimmt sehr früh«, bemerkte Rooney. »Und wenn alle Blätter rot sind, ist Ihre Flickendecke dann fertig. Sie können sie ja ins Eßzimmer hängen.«
Jenny ging Mark möglichst aus dem Weg und blieb im Haus, wann immer sie seinen Kombi beim Büro stehen sah. Ob er ebenfalls glaubte, sie hätte vielleicht absichtlich Gift in Barons Futter getan? Sie fürchtete, sie würde es nicht ertragen können, wenn sie spürte, daß auch er sie insgeheim beschuldigte.
Anfang September lud Erich ihn und seinen Vater zum Dinner ein. Er sagte es ihr beiläufig. »Luke geht bis Weihnachten wieder nach Florida. Ich habe ihn nicht oft gesehen. Emily kommt übrigens auch. Ich könnte Elsa bitten, bis abends zu bleiben und zu kochen.«
»Nein, das ist so ziemlich das einzige, was ich hier noch tun kann.«
Die erste Dinnerparty, seit Sheriff Gunderson gekommen war, um ihnen mitzuteilen, daß Kevin gesucht wurde! Sie merkte auf einmal, daß sie sich darauf freute, Luke wiederzusehen. Sie wußte, daß Erich regelmäßig zu Marks Farm fuhr. Er hatte Tina und Beth mehrmals mitgenommen. Er sprach diese Ausflüge nicht mehr mit ihr ab. Er pflegte einfach mitzuteilen: »Ich halte dir die Mädchen heute Nachmittag vom Hals. Ruh dich gut aus, Jen.«
Nicht, daß sie nicht mitfahren wollte. Aber sie fürchtete sich davor, irgendwelche Leute aus der Stadt zu sehen. Wie sie sich wohl ihr gegenüber verhalten
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