Schrei in der Nacht
würden? Ihr ins Gesicht lächeln und sich dann hinter ihrem Rücken über sie erregen?
Wenn Erich mit den Mädchen fort war, machte sie lange Spaziergänge auf der Farm. Sie schritt am Fluß entlang und versuchte, nicht daran zu denken, daß Kevins Auto kurz hinter jener Biegung über die Böschung gerollt war. Sie ging am Friedhof vorbei. Carolines Grab war mit frischen Sommerblumen bepflanzt.
Am liebsten wäre sie in den Wald gegangen, um Erichs Hütte zu suchen. Einmal ging sie tatsächlich, kam aber nur ungefähr fünfzig Meter weit. Die dichten Zweige hielten die Sonnenstrahlen fern. Ein Fuchs, der ein Kaninchen verfolgte, lief an ihr vorbei und streifte ihr Bein. Erschrocken kehrte sie um. Vögel, die in den Bäumen nisteten, flatterten protestierend auf, als sie vorbeiging.
Sie hatte ein paar Umstandskleider von einem Versandhaus in Dayton bestellt. Fast sieben Monate schwanger — und meine alten Sachen passen noch beinahe, dachte sie. Aber die neuen Blusen, Hosen und Röcke hoben ihre Lebensgeister. Sie erinnerte sich daran, wie sparsam sie bei ihren Einkäufen gewesen war, als sie Beth erwartete. Bei Tina hatte sie praktisch noch einmal dieselben Sachen getragen. Bei diesem Kind aber hatte Erich gesagt: »Kauf bitte, soviel du möchtest.«
Am Abend des Dinners trug sie ein smaragdgrünes seidenes Hemdblusenkleid mit einem weißen Spitzenkragen. Es war schlicht, hervorragend geschnitten. Sie wußte, daß Erich sie gern in Grün sah.
Die Farbe ließ ihre Augen irgendwie anders erscheinen.
Wie das seegrüne Nachthemd.
Die Garretts kamen zusammen mit Emily. Jenny hatte den Eindruck, daß zwischen Mark und Emily eine neue Vertrautheit zu bestehen schien. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa. Einmal legte Emily ihm kurz die Hand auf den Arm. Vielleicht sind sie schon verlobt, dachte sie und empfand plötzlich einen Stich. Warum?
Emily bemühte sich merklich, nett zu sein. Aber es war schwer, gemeinsame Themen zu finden. Sie redete über den Jahrmarkt, bei dem sich immer der ganze County traf. »So ungehobelt die Leute auch sind, ich amüsiere mich jedesmal königlich. Und alle haben gesagt, wie niedlich Ihre beiden Mädchen sind.«
»Unsere Mädchen«, sagte Erich lächelnd. »Übrigens, es freut euch sicher zu hören, daß die Adoption jetzt offiziell gilt. Die Mädchen sind von nun an vor dem Gesetz unwiderruflich Kruegers.«
Jenny hatte natürlich damit gerechnet. Aber wie lange hatte Erich es schon gewußt? Vor ein paar Wochen hatte er aufgehört, sie zu fragen, ob sie etwas dagegen habe, wenn er mit den Mädchen irgendwohin fuhr. War das vielleicht der Grund — daß sie nun ›vor dem Gesetz unwiderruflich Kruegers‹ waren?
Luke Garrett war auffallend still. Er hatte sich für den Ohrensessel entschieden. Nach einer Weile verstand Jenny, warum. Von dort aus konnte man Carolines Porträt am besten sehen. Er wandte den Blick kaum davon ab. Was mochte er bloß gemeint haben, als er ihr einschärfte, sich vor Unfällen zu hüten?
Das Dinner erwies sich als Erfolg. Sie hatte eine mit Reis gebundene Tomatensuppe gemacht, nach einem Rezept, das sie in einem alten Kochbuch in der Küche gefunden hatte. Luke zog die Augenbrauen hoch. »Erich, wenn ich mich nicht irre, ist das das Rezept, das deine Großmutter manchmal benutzte, als ich ein kleiner Junge war. Ausgezeichnet, Jenny.«
Wie um seine Wortkargheit wettzumachen, fing Luke an, von seiner Jugend zu erzählen. »Dein Dad und ich sind ungefähr so miteinander aufgewachsen wie du und Mark«, sagte er zu Erich.
Um zehn Uhr gingen die Gäste. Erich half ihr beim Abräumen. Er schien mit dem Verlauf des Abends zufrieden zu sein. »Sieht so aus, als ob sich Mark und Emily demnächst verloben«, sagte er. »Luke würde sich freuen. Er wollte schon lange, daß Mark eine Familie gründet.« »Ich hatte auch den Eindruck«, bestätigte sie.
Sie versuchte, erfreut zu klingen, doch es wollte ihr nicht recht gelingen.
Im Oktober wurde es von einem Tag zum anderen merklich kälter. Ein scharfer Wind riß den herbstlichen Schmuck von den Bäumen; Frost färbte das Gras bräunlich; eisiger Regen fiel. Die Heizung summte nun von morgens bis abends, und jeden Morgen machte Erich im Küchenherd Feuer. Beth und Tina kamen in warmen Bademänteln zum Frühstück herunter und konnten kaum den ersten Schnee abwarten. Jenny ging nicht mehr oft aus dem Haus. Die langen Spaziergänge waren zu anstrengend, und Dr. Elmendorf hatte strikt davon abgeraten. Außerdem bekam
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