Schrei in der Nacht
aber jeden Tag zum Dinner nach Hause gekommen. Selbst wenn er anschließend wieder die Hütte aufsuchte, kam er normalerweise irgendwann zurück und schlief dann im Haus.
Sie hatte ihn nach der Schiebetür zwischen seinem alten Zimmer und dem Elternschlafzimmer gefragt.
»Mein Gott, Jenny, ich hatte sie vollkommen vergessen.
Wie kommst du darauf, daß jemand sie nachts aufgemacht hat? Ich wette, Rooney ist öfter hier, als wir denken. Ich habe dir doch geraten, dich nicht mit ihr einzulassen.«
Sie hatte nicht gewagt, ihm zu erzählen, daß Rooney gesagt hatte, sie habe Caroline in letzter Zeit öfter gesehen.
Jetzt öffnete sie die Tür des Zimmers, in dem er zur Zeit schlief, und knipste die Lampe an. Das Bett war gemacht. Erich war nicht da.
Sie mußte aber ins Krankenhaus. Es war erst vier Uhr morgens. Bis sieben war niemand auf. Es sei denn …
Leise lief sie den breiten Gang hinunter, an den übrigen Schlafzimmern vorbei. Erich benutzte nie eines davon, außer…
Vorsichtig öffnete sie die Tür seines alten Zimmers.
Die Trophäe der Schülerliga auf der Kommode glänzte im Mondlicht. Das Korbbettchen, das nun einen Behang aus weißem Voile auf gelber Seide hatte, stand neben dem großen Bett.
Die Bettdecke war knautschig. Erich schlief in seiner Lieblingslage, auf der Seite zusammengerollt wie ein Embryo. Seine Hand hing über den Rand des Korbbettchens, als sei er eingeschlafen, während er es festhielt. Sie erinnerte sich an eine Bemerkung, die Rooney vor einiger Zeit gemacht hatte. »Ich sehe noch, wie Caroline das Bettchen stundenlang hin-und
herschaukelte, während Erich darin herumzappelte. Ich habe ihm oft gesagt, daß er von Glück sagen kann, eine so geduldige Mutter zu haben.«
»Erich«, flüsterte sie und berührte ihn an der Schulter.
Er riß die Augen auf und fuhr hoch. »Jenny, was ist los?«
»Ich glaube, ich muß ins Krankenhaus.« Er stand schnell auf, nahm sie in die Arme. »Ich hatte auf einmal den Drang, hier zu schlafen, um dir nahe zu sein. Als ich einschlief, dachte ich gerade, wie schön es wird, wenn unser Kleiner in dem Bett liegt.«
Er hatte sie seit Wochen nicht mehr angefaßt. Sie hatte gar nicht gewußt, wie sehr sie danach hungerte, seine Arme um sich zu fühlen. Sie griff nach seinem Gesicht.
Ihre Finger ertasteten im Halbdunkel seine Wangen, seine weichen Augenlider.
Sie erschauerte.
»Was ist, Liebes? Hast du irgendwas?«
Sie seufzte. »Ich weiß nicht warum, aber ich hatte eben auf einmal schreckliche Angst. Man könnte fast glauben, daß ich mein erstes Kind bekomme.«
Die Deckenbeleuchtung im Kreißsaal war sehr grell. Das Licht tat ihren Augen weh. Sie war nur die halbe Zeit richtig bei Bewußtsein, versank immer wieder in Benommenheit. Erich, mit Gesichtsschutz und Kittel wie die Ärzte und Schwestern, beobachtete sie. Warum beobachtete er sie unablässig?
Eine letzte Welle von Schmerz. Jetzt, dachte sie, jetzt.
Dr. Elmendorf hob einen kleinen, schlaffen Körper in die Höhe. Alle beugten sich darüber. »Sauerstoff!«
Das Baby mußte gesund sein. »Geben Sie ihn mir.«
Aber ihre Lippen formten die Worte nicht. Sie konnte die Lippen nicht bewegen.
»Ich möchte ihn sehen«, sagte Erich. Er klang besorgt, nervös. Dann hörte sie sein erschrockenes Flüstern. »Er hat Haare wie die Mädchen, rostrot!«
Als sie wieder die Augen aufschlug, war es dunkel im Zimmer. Neben dem Bett saß eine Krankenschwester.
»Das Baby?«
»Ist über den Berg«, sagte die Schwester beruhigend.
»Er hat uns nur einen kleinen Schreck eingejagt.
Versuchen Sie zu schlafen.«
»Mein Mann?«
»Er ist nach Haus gefahren.«
Was hatte Erich im Kreißsaal gesagt? Sie erinnerte sich nicht.
Sie fiel in einen leichten, unruhigen Schlummer. Am Morgen kam ein Kinderarzt herein. »Ich bin Dr. Bovitch.
Die Lungen des Kleinen sind nicht voll entwickelt. Er hat Schwierigkeiten, aber wir werden ihn durchbringen, das verspreche ich Ihnen. Da Sie aber angegeben haben, daß Sie katholisch sind, haben wir es für das beste gehalten, ihn gestern nacht taufen zu lassen.«
»Geht es ihm so schlecht? Ich möchte ihn sehen.«
»Sie können nachher zur Säuglingsstation gehen. Wir können ihn noch nicht aus dem Sauerstoffzelt nehmen.
Aber Kevin ist ein wunderschönes Baby, Mrs. Krueger.«
»Kevin!«
»Ja. Der Pfarrer hat Ihren Mann gefragt, wie er heißen soll. Es stimmt doch, nicht wahr? Kevin MacPartland-Krueger.«
Erich kam mit einem Riesenstrauß langstieliger roter Rosen ins
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