Schrei in der Nacht
Zimmer. »Jenny, Jenny, sie sagen, daß er durchkommt. Er wird durchkommen. Ich habe die ganze Nacht geweint, als ich nach Haus kam. Ich dachte, daß es keine Hoffnung gibt.«
»Warum hast du gesagt, daß er Kevin MacPartland heißen soll?«
»Liebling, es hieß, er würde es höchstens ein paar Stunden machen. Ich dachte, wir heben uns den Namen Erich für einen Sohn auf, der überlebt. Es war der einzige andere Name, der mir eingefallen ist. Ich dachte, du würdest dich freuen.«
»Laß ihn ändern.«
»Wie du willst, Liebling. Auf der Geburtsurkunde wird er der fünfte Erich Krueger sein.«
Die Woche, die sie im Krankenhaus lag, zwang sie sich zu essen, sammelte Kräfte, kämpfte gegen die Depression an, die ihre Energie aufsog. Nach dem vierten Tag nahmen sie den Säugling aus dem Sauerstoffzelt, und sie durfte ihn halten. Er war so zerbrechlich. Sie wurde von einer schmerzhaft intensiven Zärtlichkeit übermannt, als sein Mund nach ihrer Brust suchte. Sie hatte Beth und und Tina nicht gestillt. Es war zu wichtig gewesen, wieder zu arbeiten. Aber diesem Kind würde sie all ihre Zeit, all ihre Kraft geben.
Sie wurde aus dem Krankenhaus entlassen, als das Baby fünf Tage alt war. In den nächsten drei Wochen fuhr sie tagsüber alle vier Stunden zum Krankenhaus, um den Kleinen zu stillen. Manchmal fuhr Erich sie, sonst gab er ihr den Wagen. »Für das Baby alles, Liebling!«
Die Mädchen gewöhnten sich daran, daß sie sie allein ließ. Zuerst nörgelten sie, aber dann fanden sie sich damit ab. »Macht nichts«, sagte Beth zu Tina. »Daddy spielt mit uns, und das macht immer Spaß.«
Erich hörte es. »Wen mögt ihr am liebsten, Mami oder mich?« Er warf sie nacheinander in die Luft.
»Dich, Daddy«, sagte Tina und kreischte vor Vergnügen. Jenny wurde klar, daß sie gelernt hatten, was für Antworten er hören wollte.
Beth zögerte und blickte zu Jenny. »Ich mag euch beide aber gleich gern.«
Endlich, einen Tag nach Thanksgiving, durfte sie das Baby heimholen. Zärtlich kleidete sie den kleinen Spatz an, tauschte das rauhe Krankenhaushemd erleichtert gegen ein anderes aus, das einmal gewaschen worden war, um die Baumwollfasern weicher zu machen. Dann kam ein langes geblümtes Hemd, ein blaues Wollcape mit passender Mütze und schließlich eine satingefütterte Tragedecke aus kuscheliger Wolle.
Es war bitterkalt. Der November hatte schon viel Schnee gebracht, unablässig fallende kleine Flocken mit feinen Eisrändern. In den Bäumen raunte der Wind und versetzte die kahlen Zweige in rastlose Bewegung. Rauch kräuselte sich aus den Schornsteinen des Hauses, kam aus dem Bürokamin und trieb von Clydes und Rooneys Haus her über den Hügel beim Friedhof.
Die Mädchen waren begeistert über ihren kleinen Bruder und bettelten abwechselnd darum, ihn halten zu dürfen. Jenny, die mit ihnen auf dem Sofa saß, ließ sie gewähren. »Vorsichtig, vorsichtig. Er ist so winzig.«
Mark und Emily kamen vorbei, um sich ihn anzusehen.
»Er ist zum Anbeißen«, verkündete Emily. »Erich zeigt überall sein Bild herum.«
»Vielen Dank für die Blumen«, murmelte Jenny. »Und Ihre Eltern haben ein sehr schönes Arrangement geschickt. Ich habe angerufen, um mich bei Ihrer Mutter zu bedanken, aber sie war wohl nicht zu Haus.«
Sie hatte mit voller Absicht ›wohl‹ gesagt. Sie war sicher, daß Mrs. Hanover sehr wohl zu Haus gewesen war.
»Sie freuen sich so für Sie — und natürlich für Erich«, sagte Emily hastig. »Ich hoffe nur, ich bringe einen gewissen Herrn auf eine Idee.« Sie lachte und sah Mark an.
Er lächelte zurück.
So etwas sagt man nur, wenn man seiner selbst sehr sicher ist, dachte Jenny.
Sie bemühte sich, das Gespräch in Gang zu halten.
»Nun, Dr. Garrett, wie beurteilen Sie meinen Sohn?
Würde er beim Country-Markt einen Preis gewinnen?«
»Zweifellos ein Vollblut«, entgegnete Mark. Was war bloß in seiner Stimme? Eine besorgte Note? Mitleid? Sah er in dem Baby auch etwas so besonders Zartes, wie sie es empfand?
Ja, das mußte es sein.
Rooney war die geborene Kinderschwester. Sie liebte es, dem Baby die ergänzende Flasche zu geben, wenn Jenny es gestillt hatte, oder sie las den Mädchen etwas vor, wenn es schlief.
Jenny war für die Hilfe dankbar. Der Kleine machte ihr Sorgen. Er schlief zu viel; er war blaß. Seine Augen schienen langsam bewußter zu sehen. Sie würden einmal sehr groß sein, leicht mandelförmig wie die von Erich.
Sie waren vorläufig tiefblau. »Aber ich
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