Schrei in Flammen
Wraa fuhr über den Jagtvej nach Nørrebro, bog an der Rantzausgade ab und parkte in der Florsgade. Fünf Minuten vor neun stand sie vor dem Eingang des Landesarchivs, das um neun Uhr öffnete. Sie nutzte die Wartezeit, um ihren Vater anzurufen und sich zu erkundigen, ob die Ergebnisse schon da waren. Ende der Woche hatte es geheißen, sie sollten heute kommen, aber er nahm den Hörer nicht ab. Verdammt.
Als die Tür geöffnet wurde, ging sie gemeinsam mit fünf älteren Herrschaften ins Archiv. Während sich die anderen routiniert einen Platz in dem großen Lesesaal suchten, ging Katrine zum Tresen und nahm Augenkontakt zu einer Frau Anfang dreißig auf.
Bolette
stand auf ihrem Namensschild.
»Ich heiße Katrine Wraa und arbeite für die Kopenhagener Polizei.«
»Aha?«, sagte die Frau leicht verdutzt. »Die bestellen doch meistens online.«
»Ja, aber ich habe gesehen, dass das bis zu einer Woche dauern kann, und da dachte ich, ich komme einfach persönlich vorbei, um abzuholen, was ich brauche.«
Bolettes Gesichtsausdruck wechselte von Verdutztheit zu nachsichtigem Bedauern.
»Das dauert grundsätzlich eine Woche. Egal, ob Sie online bestellen oder persönlich vorbeikommen.«
»Eine Woche?«, platzte Katrine heraus. »Es geht um eine Mordermittlung.« Sie hoffte inständig, das Wort »Mordermittlung« würde die Frau umstimmen.
»Egal, es dauert grundsätzlich eine Woche«, wiederholte Bolette. »Als Erstes müssen sie das hier ausfüllen.« Sie reichte Katrine ein Antragsformular für die Nutzung von Material, das nicht unmittelbar zugänglich war.
»Ich kann das gern machen, aber lassen Sie es mich kurz erklären: Ich brauche diese Unterlagen sehr dringend für eine aktuelle Ermittlung. Müssen wir da wirklich eine Woche auf das Material warten …?« Katrine schüttelte fassungslos den Kopf.
»Ich fürchte, da können wir nichts machen«, sagte Bolette mit noch energischerer Miene. »Unsere Archivalien reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück, die füllen fünfunddreißig Regalkilometer. Da geht man nicht mal eben so rein und zieht die gewünschte Akte aus dem Schrank.«
»Haben Sie von dem Mord an der jungen Frau gleich hier um die Ecke gehört?«, fragte Katrine und dachte, dass ihr Gegenüber ihren Job auch nur mit der gleichen Gewissenhaftigkeit ausübte wie sie selbst.
»Die Prostituierte? Ja, selbstverständlich.«
»Gut!«, sagte Katrine hitziger als geplant. »Und ich versuche gerade, die Person zu finden, die sie in ein Auto gesetzt, das Auto dann angesteckt und sie bei lebendigem Leib verbrannt hat.«
»Das ist sehr lobenswert, aber ich weiß wirklich nicht, was Sie eigentlich von mir erwarten.«
»Ich möchte, dass Sie mir helfen, die Fallakten zu finden, nach denen ich suche.«
Bolettes Kollegin, eine große, dürre Frau in den Fünfzigern, die die Diskussion von der Seitenlinie verfolgt hatte, stellte sich neben Bolette. »Weißt du was, das ist in Ordnung. Ich kümmere mich darum.«
»Aber wir können doch nicht …«
»Ist okay, Bolette. Hilfst du bitte Ellen bei der Suche nach einem Kirchenbuch aus dem Pfarrbezirk Roskilde um 1600, dann übernehme ich die Kollegin von der Polizei.«
Bolette marschierte eingeschnappt zu einer älteren Dame, die klaglos und geduldig wartete.
»Was brauchen Sie denn?«, fragte Bolettes Kollegin, die laut Namensschild Annemarie hieß.
»Ich brauche Tagesberichte aus dem Polizeibezirk Hørsholm in einer bestimmten Zeitspanne, einige Monate im Jahr 1987.«
»Das müsste zu machen sein.«
»Tausend Dank!«, sagte Katrine erleichtert. Am liebsten hätte sie Annemarie auf der Stelle umarmt.
»Wenn Sie das hier ausfüllen würden«, Annemarie zeigte auf das Formular, das Bolette Katrine gegeben hatte, »damit ich es als Eilantrag einreichen kann. Schreiben Sie, um welche Zeitspanne es geht, den betreffenden Polizeibezirk und welche Art von Akten. Aber Sie müssen schon mit ein bis zwei Stunden Wartezeit rechnen. Ich suche einen Kollegen, der mir helfen kann.«
Katrine wollte fragen, ob es eine Möglichkeit gebe, das Ganze noch weiter zu beschleunigen, hielt dann aber doch den Mund und füllte den Zettel aus. Vermutlich hatte Annemarie sich bereits sehr weit aus dem Fenster gelehnt, um ihr zu helfen.
»Suchen Sie sich einen Platz, dann lege ich mal los.«
»Danke«, sagte Katrine, und sah die Frau verschwinden. Dann suchte sie sich einen Tisch und klappte ihren Laptop auf.
*
Wenn man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hält und einen
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