Schrei in Flammen
anderen Seite des Tisches saßen, aber das ging nur, wenn man zu zweit im Verhörraum war. Jetzt sollte neben Katrine zu seinem Leidwesen auch noch Torsten Bistrup teilnehmen. Mit einem Verdächtigen, der keine Verbindungen zur organisierten Kriminalität zu haben schien, rückte der Fall zu ihrem Bedauern schlagartig in den Zuständigkeitsbereich des Morddezernats.
»Bitte setzen Sie sich«, sagte Jens. Stuhlbeine kratzten über den Boden, bis alle Platz genommen hatten.
Asger Dahl sah Jens abwartend an. Katrine beobachtete ihn. Sie hatte weitere Informationen über ihn eingeholt und wusste nun, dass er 43 Jahre alt war, mit 26 Jahren das Diplom in Psychologie gemacht und während seiner gesamten Karriere mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hatte. Trotz seiner schmalen Stahlbrille wirkte er jugendlich, ja fast jungenhaft. Seine Haare waren mittelblond mit einem Hauch von Grau. Katrine konnte sich ihn gut in der Rolle des Referenten, Vorsitzenden oder Moderators vorstellen. Man sah ihm trotz der Jugendlichkeit an, dass er es gewohnt war, am Kopf eines Tisches zu sitzen, Gespräche zu leiten und Beschlüsse zu fassen. Gewohnt, immer wach zu sein, zu improvisieren, zu verhandeln. Ihr war klar, welch immense Probleme er bekommen würde, falls sich tatsächlich herausstellte, dass das Überwachungsvideo ihn zeigte – auch wenn er einfach nur Kunde dieses Bordells gewesen sein sollte. Seine Haltung und die Position, die er in der Öffentlichkeit einnahm, passten nicht zu jemandem, der Sex kaufte.
»Herr Dahl, wir haben die Tote mittlerweile identifiziert.«
»Ja?«
»Sie heißt Maja Jensen. 34 Jahre alt.«
Asger Dahl schüttelte verständnislos den Kopf und zog die Augenbrauen leicht zusammen. »Der Name sagt mir nichts. Und ich verstehe noch immer nicht, warum ich hier sitze. Mir ist doch bloß der Wagen gestohlen worden, und …«
»Sie hat sich auch Sasja genannt«, sagte Jens. Alle Augen waren auf den Mann gerichtet, dessen Gesicht für einen Augenblick echte Überraschung zeigte. »Und sie hat ein Bordell betrieben – den
Salon S
– am Israels Plads.«
Asger Dahl hatte seine Mimik schnell wieder unter Kontrolle und antwortete ruhig: »Tut mir leid, auch das sagt mir nichts.«
»Sie haben den Namen noch nie gehört?«
»Nein«, sagte er mit fester Stimme und sah Jens dabei in die Augen.
Er lügt, dachte Katrine, die sich schon immer für Lügenforschung interessiert hatte. Die meisten Menschen verstanden sich nicht aufs Lügen, von einigen Ausnahmen abgesehen. Bei einer ganzen Reihe von psychiatrischen Diagnosen gehörte die Ausprägung dieser Fähigkeit zu einem Teil des Krankheitsbildes. Manche Ärzte glaubten, dass schon das Vermeiden von Augenkontakt oder ein zuckender Mundwinkel sichere Anzeichen für eine Lüge waren. Aber das war ein großer Irrtum, häufig waren das eher Anzeichen von Nervosität. Zum Beispiel der Nervosität darüber, unschuldig eines Verbrechens bezichtigt zu werden.
Jede Lüge war eine kognitive Herausforderung. Weshalb man sich häufig ganz besonders auf seine Erklärung konzentrierte, also Mimik und Gestik begrenzte und seinem Gegenüber fest in die Augen sah, um dessen Reaktion zu ergründen. In der Regel kamen die gelogenen Antworten einen Tick später, weil das Gehirn erst die Antwort bearbeiten und mit den anderen Aussagen abgleichen musste, die man zuvor getroffen hatte. Real Erlebtes – und damit Wahres – konnte man hingegen ohne jedes Zögern vorbringen. In diesen Fällen konnte man auch problemlos in der Abfolge der Handlungsabläufe hin- und herspringen. Bei einer komplizierten Lüge war man hingegen gezwungen, alles exakt chronologisch vorzubringen, wollte man Fehler vermeiden.
»Hm«, sagte Jens und öffnete die Mappe, in der die Ausdrucke der Aufnahmen der Überwachungskamera lagen. »Das ist merkwürdig, denn es sieht danach aus, als hätten Sie sie besucht. Sie arbeitete hier.« Er legte das Bild vor Dahl, auf dem man den Mann, der den
Salon
S
am Abend zuvor verlassen hatte, am besten erkennen konnte. Das Bild war dunkel, und der Mann trug eine dunkle Jacke, aber Körperbau und Körperhaltung passten perfekt zu Dahl. Katrine war fest davon überzeugt, dass das Foto Asger Dahl zeigte.
Dahl warf einen Blick auf das Bild, schüttelte den Kopf und sagte: »Das bin ich nicht.«
»Der sieht Ihnen aber zum Verwechseln ähnlich«, sagte Jens.
Asger Dahl lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: »Wenn
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