Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
inzwischen zur dritten Säule neben dem Großhandel – also der Belieferung von Händlern wie Karstadt, Kaufhof, Sport Scheck, Runners Point oder Foot Locker – und den eigenen Adidas Stores gemacht. Zwar lag der Online-Umsatz des Konzerns 2012 gerade bei 158 Millionen Euro, ziemlich wenig angesichts eines Gesamtumsatzes der Gruppe von 14,8 Milliarden Euro. Doch bis 2015 soll es eine Milliarde Euro werden. Dieses sportlich-ehrgeizige Wachstumsziel zeigt, welches Potenzial noch im Onlinekanal stecken dürfte.
Jürgen Michelberger von Esprit ist ebenfalls optimistisch: »Ich denke, der Umsatzanteil von Mode Online wird weiter deutlich wachsen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ein so großer Anbieter wie Zalando von diesem Trend besonders stark profitiert.«
Nach Ansicht von Stylefruits-Gründer Ingo Heinrich gibt es »nichts, was darauf hindeutet, dass sich das rasante Wachstum nicht fortsetzen sollte. Selbst wenn es etwas langsamer werden sollte: Ich glaube, dass wir bis 2020 in der Mode einen Onlineanteil von 50 Prozent haben werden. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass das anders wird.«
»Ich gehe von 40 bis 50 Prozent 2020 aus«, sagt Dieter Holzer, Chef der Tom Tailor Group, »wegen technischer Entwicklungen wie dem Tablet PC sowie immer besserer Smartphones und weil die Anbieter immer professioneller werden.«
Nun ist diese Umfrage unter Führungskräften alles andere als repräsentativ. Doch sie zeigt sehr treffend die Situation, die man in der Modebranche immer wieder erkennen kann: Diejenigen, die Online zwar nicht ignorieren, aber die E-Commerce-Umsätze allenfalls als eine Art Beifang mitnehmen, sind sehr viel vorsichtiger bei der Einschätzung des Umsatzpotenzials des Onlinekanals als diejenigen, die sich fast ausschließlich mit dem Handel im Internet beschäftigen. Diese Diskrepanz mag zum Teil mit der verständlichen Haltung zu tun haben, dass jeder seine eigene Leib-und-Magen-Sparte als die zukunftsträchtigste darzustellen versucht. Mindestens ebenso wichtig dürfte jedoch der Grund sein, dass diejenigen, die sich täglich mit dem virtuellen Handel, seinen neusten Entwicklungen und Perspektiven beschäftigen, wahrscheinlich eher beurteilen können, was da noch alles möglich ist. Selbst dann, wenn man bei der Marktanteil-Hochrechnung der jungen Wilden ein paar Prozentpunkte als Euphorie-Malus abziehen mag. Wieviel Prozent der Herrenoberhemden in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2020 nun tatsächlich Online abgesetzt werden, ist dabei gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist, dass auch die Online-Verweigerer verstehen, welche Umwälzung da in ihrer Branche gerade passiert und dass sie nicht wie das Kaninchen vor der Schlange stehen. Und doch tun genau das noch erstaunlich viele.
»Das ist nicht nur irgendeine Herausforderung, sondern das komplette Überdenken der Geschäftskonzeption«, glaubt Kay Hafner, einst Chef von Wal-Mart Deutschland, von Hertie und für einige Monate auch von Praktiker. »Eigentlich müssen sie ihr Unternehmen komplett neu aufbauen: neues Management, komplett neue Struktur.« Doch selbst das werde für manche nicht reichen. »Viele Firmen werden erkennen müssen, dass sie tatsächlich am Ende ihrer Lebensdauer angekommen sind und man nicht unendlich weiter optimieren kann«, sagt Hafner, der sich inzwischen mit einer Unternehmensberatung selbstständig gemacht hat.
Er habe an sich selber gesehen, dass man als Manager in der operativen Verantwortung vor allem von Quartal zu Quartal, von Kollektion zu Kollektion denke, aber zu selten die Perspektive von drei oder fünf Jahren im Kopf habe. Was ein Grund dafür sei, dass so viele Handelsunternehmen von der Online-Herausforderung überrascht und damit überfordert seien: »Ich vermisse, dass man den großen Bogen sieht. Es wird zu viel darüber geredet, was Zalando gerade alles tut und was andere alles nicht tun.« Der aktuelle Paradigmenwechsel werde damit kleingeredet und praktisch ausgeblendet. Notwendige Schlüsse würden nicht gezogen. Mit fatalen Folgen für diejenigen, die so handelten. Und die immer noch glaubten, dieses Einkaufen im Internet sei wie eine Mode oder eine Krankheit, die bald schon wieder verschwinden werde.
Das Problem sehen auch andere: »Viele alteingesessene Unternehmen, auch Versandhändler, reagieren viel zu träge mit Veränderungen ihrer Strukturen. Man kann sagen, dass sie wirklich Gefahr laufen, die Entwicklung zu verschlafen«, meint Adidas-Chef Hainer.
Stephan
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