Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
Grünewald erklärt das Phänomen psychologisch: »Etablierte Strukturen, die lange erfolgreich waren, haben immer ein Trägheits- und Beharrungsvermögen, das schon mal zur Realitätsverweigerung führen kann.«
Ein Top-Manager einer international tätigen Handelskette, er möchte hier nicht genannt werden, glaubt, dass sich mancher Unternehmer selber Sand in die Augen streut, wenn es um seine Online-Aktivitäten geht: »Die meisten klassischen Katalogversender sind nicht vorne mit dabei, obwohl sie hervorragende Voraussetzungen gehabt hätten. Sie sind ja schon sehr lange im Distanzhandel tätig. Aber sie bauen nicht wirklich ein neues Unternehmen, die shiften einfach nur zwei Drittel ihres Katalogumsatzes in ihre Onlinestores um. Das sieht nach außen besser aus, als es ist. Und viele denken immer noch in Katalogstrukturen: Da bestimmen die Logistiker, was geht und was nicht geht. Bei Amazon oder Zalando dagegen gehen die Überlegungen immer vom Kundenwunsch aus. Otto zeigt gute Ansätze, deren Tochter Sport Scheck etwa hat ein gutes Multichannel-Konzept. Da ergänzen sich beide Kanäle Online und Laden wirklich. Auch die Otto-Marke Bon Prix hat es geschafft, weg von einer Online-Resterampe zu einem sehr attraktiven Anbieter zu werden.«
Für einen Kenner der Szene hat die Fehl- oder Nicht-Wahrnehmung dieser grundsätzlichen Veränderungen in manchen Unternehmen auch mit dem Alter der Entscheidungsträger zu tun: »Viele in der Branche jenseits der 50 Jahre. Sie kaufen selber nicht Online ein. Und weil sie diesen neuen Wettbewerber damit nicht richtig beurteilen können, unterschätzen einige noch immer, wie grundlegend die Veränderungen sind. Ihnen ist noch immer nicht klar, wie dramatisch die Lage für herkömmliche Händler ist.«
Diese Mischung aus Schockstarre und Ignoranz kennt auch Ralf Rothberger, Director E-Commerce bei C&A, aus seiner Branche: »Für viele stationäre Händler ist das Thema Online immer noch so eine Art Blackbox. Ich war Anfang 2013 bei der Internet World in München. Viele Händler, die da hingingen, waren im Netz noch immer nicht vertreten. Sie saugten noch 2013 staunend die Informationen ein, ohne den Schalter im Kopf umzulegen und zu reagieren«, wunderte er sich. Er könne allerdings auch verstehen, »dass bei Eigentümern kleinerer Handelsunternehmen große Unsicherheit besteht. Die meisten wissen gar nicht, an wen sie sich wenden sollen. Und es kostet natürlich auch eine ganze Menge Geld.«
Das ändere aber nichts an der Grundsatzproblematik, meint Hainer: »Es spielt gar keine Rolle, ob wir den Onlinehandel nun eher als Bereicherung empfinden oder als weitere Steigerung der Komplexität unseres Geschäftes. Onlinehandel ist Realität. Er ist da und bietet für die, die ihn beherrschen, riesige Chancen. Aber es ist klar: Wer dabei sein will, muss sich diesem Geschäft mit voller Kraft widmen, auch mit finanzieller Kraft. Ein bisschen Onlinehandel zwischendurch – das wird nicht funktionieren.« Auch deshalb nicht, weil Amazon und Zalando oder die kleineren Spezialisten bereits so gut sind und einen großen Erfahrungsvorsprung besitzen.
Doch es gibt Möglichkeiten auch für die Kleinen, ohne große Investitionen wenn nicht gleich eine Flügeltür, so aber zumindest ein Fenster zur Welt des E-Commerce aufzustoßen. Die Katag AG in Bielefeld, nach eigenen Angaben Europas größter Dienstleister für den mittelständischen Bekleidungshandel, erledigt zum Beispiel den Einkauf, die Eigenmarkenentwicklung, die Abrechnung und manchmal auch die Werbung für ihre angeschlossenen mittelständischen Kundenunternehmen. Die Katag selber spielt dagegen im richtigen Onlinegeschäft mit: Die Eigenmarke Basefield ist auch bei Zalando vertreten.
Seit zwei Jahren verhilft die Katag den Unternehmern, die oft nur wenige Standorte betreiben, günstig zu einer professionellen Internetpräsenz, wenn auch nicht gleich zu einem echten Onlineshop. »Ein Onlineauftritt ist auch für mittelständische Modehändler inzwischen Pflicht, eine Verweigerung kann sich keiner erlauben. Ein eigener Onlineshop dagegen macht in den seltensten Fällen Sinn für Unternehmen mit ein paar Modehäusern. Denn wenn sie einen Onlineshop öffnen, sind sie gleich in der Konkurrenz zu Amazon und Zalando. Und um dort vernünftig mitspielen zu können, müssten sie unverantwortlich viel Geld in die Hand nehmen. Aber diese Investition wird sich kaum lohnen«, sagt Katag-Chef Daniel Terberger. »Aber als Marketingtool, als
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