Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern
Blicks in die Glaskugel des
Einkaufens. Und weil Samwer bei aller Polarisierung und Übertreibung im Kern
viel Treffendes oder zumindest Bedenkenswertes gesagt hat, folgt im Anschluss
an dieses Kapitel eine ausführliche Darstellung der Samwer-Show.
Karl-Erivan Haub und der alte Handel
Die jungen Frauen und Männer drängen sich um die Stehtische
in Tengelmanns Technikum, probieren die neuesten Produkte der Kette Coffee
Circle, an der das Unternehmen beteiligt ist, und plaudern. Die meisten kennen sich,
die Start-up-Community ist weitgehend unter sich. Ergänzt allerdings durch
einige Vertreter der alten Wirtschaftswelt, etwa durch Douglas-Chef Henning
Kreke. Auch er gibt sich heute locker, hat auf die Krawatte verzichtet, nicht
aber auf das Sakko. Viele Besucher jedoch tragen keines, sondern Pullover. So
sieht man sie auch zumeist in der Zalando-Zentrale in Berlin. Es ist so eine
Art Rocket Internet-Uniform, eigentlich sogar für weite Teil dieser Szene. Der
inzwischen verstorbene Apple-Boss Steve Jobs trat bei seinen legendären
Produkt-Präsentationen schließlich auch immer im schwarzen Pulli auf. Besaß der
Guru der iPhone- und iPad-Generation überhaupt ein Sakko?
Ganz so wild will es Karl-Erivan Haub denn doch nicht treiben.
Zur Begrüßung der Teilnehmer trägt er Anzug, hat aber immerhin die Krawatte
weggelassen. Oliver Samwer, der nach ihm auf der Bühne stehen wird, hat
selbstverständlich die Pullover-Uniform gewählt. Als wolle er schon durch die
modischen Unterschiede deutlich machen, dass hier zwei Welten
aufeinandertreffen, die doch gemeinsam auf E-Commerce-Mission sind.
Von einem clash of cultures will Haub wegen der Unterschiede
zwar nicht sprechen. Aber die ersten Kontakte mit den Zalando-Leuten waren
schon ungewöhnlich genug, um bei Haub in Erinnerung zu bleiben. So ähnlich wie
später bei Mönchengladbachs Oberbürgermeister, als die »Boyband« den
Logistik-Bauplatz besichtigte.
»Die erfolgreichen Leute bei den Onlinehändlern sind halt
irgendwie anders als wir. Spontaner, vielleicht offener. Und sie haben auch
eine ganz andere Sprache«, sagt Haub (Interview WELT 2011). Als kurz nach
seinem Einstieg bei Zalando eine Delegation von Onlinehändlern in Tengelmanns
Zentrale in Mülheim, der hundert Jahre alten, ehemaligen
Wissoll-Schokoladenfabrik, zu Besuch war, drückte einer der Pullover-Manager
seine Bewunderung für diese Architektur aus einer früheren Version der analogen
Wirtschaftswelt so aus: »Geiler Campus hier!» Karl-Erivan W. Haub staunte: »Das
hatte vorher noch nie jemand gesagt.«
Zalando-Geschäftsführer Robert Gentz erinnert sich an den
ersten Kontakt mit Haub: »Das erste Treffen war für uns sehr faszinierend. Und
für ihn wahrscheinlich auch. Herr Haub als klassischer Händler hatte eine ganz
andere Herangehensweise, andere Vorstellungen vom Tempo, von Abläufen – und er
benutzte ganz andere Begriffe als wir.« Der abwägende Risikokalkulator, der
lieber mit einer Investition noch wartet, wenn sie noch nicht perfekt
vorbereitet ist, trifft die atemlosen Eroberer, die unbedingt die neuen Märkte
besetzen wollen, bevor es jemand anderes tut. Zwei Welten treffen aufeinander.
Immerhin waren die hungrigen Internet-Krieger klug genug zu
erkennen, dass jemand aus der alten Welt wie Haub ihnen nicht nur finanziell
nutzen könnte. Denn der Tengelmann-Chef verkörpere »unglaublich viel
Handelserfahrung. Da ergänzte sich was«, erinnert sich Zalando-Gründer
Schneider, »das war schon spannend.«
Und hilfreich. »Selbstverständlich haben wir von Tengelmanns
Erfahrungen profitiert, da konnten wir viel lernen«, ergänzt Geschäftsführer
Rubin Ritter. »Und natürlich haben wir die Tengelmann-Leute gefragt, als wir
unseren neuen Logistikstandort geplant haben. Die haben schließlich schon reichlich
Läger gebaut.« Ins operative Kerngeschäft allerdings, also den Handel im Netz,
hätten sich die Investoren nie einzumischen versucht. Auch Haub nicht.
Was macht denn diese Zalando-Leute aus, Herr Haub? »Der
unbedingte Wille, erfolgreich zu sein und zu gewinnen. In ihrem Feld die
Konkurrenz zu beherrschen oder am besten erst gar keine Konkurrenz aufkommen zu
lassen.« Das gefällt ihm, das sei Unternehmertum. »Sie arbeiten gegen den
Mainstream, das spürt man. Dass sie nicht von allen ernst genommen, sondern von
einigen Etablierten noch belächelt werden, stachelt sie noch mehr auf. Sie
sagen sich: Wir zeigen es denen, wir werden es ihnen beweisen! Auch das zieht
junge
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