Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern
aufmischen zu können. Mit der seltsamen Idee, Schuhe über
das Internet zu verkaufen.
Was trieb Haub dazu? »Da passiert etwas, da sollten wir dabei
sein«, sagt er. »Und das, was die Samwers präsentierten, war vielversprechend,
das konnte ich nachvollziehen.« (Haub, 27.05.13 Gespräch). Ob er bei seinen
Überlegungen auch die früheren Fehler im Hause Tengelmann im Hinterkopf hatte,
als man zu träge auf neue Trends in der Branche reagiert hatte? »Ich will mir
nicht von der nächsten Generation irgendwann die Frage stellen lassen: Habt ihr
nicht gemerkt, was da passiert?«, sagte er später.
Dass die jungen Herren den erfahrenen Familienunternehmer als
bisher einzigen echten Einzelhandelsmann auf ihre Seite bekommen haben, dürfte
nicht zuletzt an der starken USA-Orientierung der Familie gelegen haben. Die
Haubs haben in Amerika lange die – zuletzt erfolglose – Lebensmittelkette
A&P betrieben und besitzen dort eine Ranch. Karl-Erivan Haub ist in den USA
geboren und trägt gern eine US-Flagge als Anstecker am Revers. Sein Bruder
investiert für die Familie in den Vereinigten Staaten in junge Unternehmen.
Folglich ist Haub häufig in den USA unterwegs – dem Land, das Europa in
Entwicklungen wie dem Internet immer ein paar Jahre voraus ist.
»In den USA konnte man 2009 schon überall Zappos sehen, den
Online-Schuhhändler. Bei den Sicherheitskontrollen am Flughafen etwa, wo alle
Fluggäste ihre Schuhe ausziehen mussten, waren da immer diese Zappos-Logos in
den Plastikwannen«, erinnert sich Haub. »Es schien also eine ganze Menge Leute
zu geben, die bereit waren, ihre Schuhe im Internet zu kaufen. Ohne diese
eigene Anschauung hätten wir die Bedeutung und die Chancen, die dieser Markt
bietet, vielleicht auch nicht so wahrgenommen.« Dass er dies wahrgenommen hat,
darüber ist er längst heilfroh: »Am Anfang war es für uns nur so eine Idee:
Warum sollten wir es nicht mal probieren, mit überschaubarem Risiko, als
Beimischung? Inzwischen sind wir der festen Überzeugung, dass man als Retailer
unbedingt dabei sein muss beim Onlinehandel«, sagt Haub im Rückblick.
Auch andere klassische Händler hatte Samwer als mögliche
Investoren angesprochen – ohne Erfolg. »Sie setzen nur auf ein Pferd, auf ihr
eigenes Pferd. Sie denken: Ich bin Händler, ich kenne das Geschäft seit 30
Jahren, vielleicht schon in der dritten Generation. Das mit dem E-Commerce ist
doch nichts anderes als ein Laden oder ein Versandhausgeschäft«, ereifert sich
Samwer noch im Frühjahr 2013 mit einer Mischung aus Ärger und Unverständnis bei
Tengelmanns e-day.
Der Ort für derlei Reflexionen über Vergangenheit und Zukunft
des Handels war exzellent gewählt: das »Technikum« in der Tengelmann-Zentrale
in Mülheim. Haub hatte eine frühere Lagerhalle von Plus komplett renovieren
lassen: Die eine Hälfte dient jetzt als Veranstaltungszentrum – hier hielt
Samwer seinen Vortrag –, in der anderen parkt Haubs Oldtimersammlung. Mehr als
zwei Dutzend restaurierte Dienst- und Privatwagen, die alle irgendwie mit der
Geschichte des Hauses Tengelmann zu tun haben, dazu auf der Empore Maschinen
aus der längst vergangenen Ära als Schokoladenproduzent unter dem Logo der
Marke »Wissoll«. Hingucker aus der Firmenvergangenheit also und auf der anderen
Seite das Diskussionsforum für die Frage, was wohl jetzt kommen mag für ein
Handelsunternehmen in Familienhand.
Oliver Samwer – stets ein Freund des »Groß Denkens« –
referierte nebenan gleich über die Zukunft des gesamten Konsumgeschehens
weltweit. Dass er es tat, war eine Ausnahme. Teils aus Dankbarkeit, teils auch
zwecks Akquisition weiterer Investoren-Millionen redete Samwer, der sonst
selten öffentlich auftritt, beim e-day. Auf diesem Workshop zum Onlinehandel
zog er gegen jene vom Leder, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten, und
erklärte eine Stunde lang herrlich undiplomatisch, unmissverständlich und
politisch unkorrekt seine Sicht der Dinge. Und nach der sind 80 Prozent der
Einzelhändler von heute nicht mehr zukunftsfähig angesichts des Online-Booms.
Binnen kurzem war anschließend in der Community seine
drastische Aufteilung der künftigen Handelswelt in glänzende Gewinner und
jämmerliche Verlierer in der Branche legendär – obwohl sie nicht einmal 250
Zuhörer live erlebt hatten und es davon im Netz bisher keinen Mitschnitt gibt.
Wenige Berichte in Zeitungen oder auf Start-up-Websites hatten gereicht. Ich
gehörte zu den Zuhörern dieses spektakulären
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