Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
jenseits des Rheins. Alle Morde hatten einen geschichtlichen Hintergrund oder ein Motiv, das erst in Verbindung mit historischen Ereignissen geklärt werden konnte. Herausgegeben wurden die Bücher vom Kirchenmaus-Verlag in Rheinfelden, der aber seit einem halben Jahr gar nicht mehr existierte. Günther Kobel, der Verleger, war mit Angelas Vater befreundet, aber sie konnte ihn nicht anrufen, bevor die Nachricht von Guido Bärs Tod offiziell freigegeben war. Das musste warten. Erstaunt stellte sie im weiteren Verlauf der Suche fest, dass ausser zwei kleinen, sehr wohlwollenden Artikeln in Lokalzeitungen keine Rezensionen zu finden waren. Warum besprachen die Redaktionen der grösseren Zeitungen die Bücher von Guido Bär nicht? Hielten sie sie für nicht gut genug? Steff wüsste vielleicht eine Antwort, dachte Angela, aber dann will er als Gegenleistung wieder Informationen von mir, also Vorsicht.
Als Nächstes klickte sie sich durch weitere, etwas weniger öffentliche Datenbanken, und stiess dabei auf die Familie des Mordopfers. Sofort rief sie Nick Baumgarten an: „Bärs Mutter lebt noch, in einem Seniorenheim in Basel. Wir müssen sie unbedingt informieren.“
„Moment, Angela, ich frage gleich nach.“ Sie hörte, wie er mit jemandem sprach, verstand jedoch nicht mit wem. Dann war er wieder da: „Paul Beniak sagt, der Kontakt zwischen Mutter und Sohn sei seit langem auf ein Minimum beschränkt gewesen. Abgesehen davon ist sie wohl mental nicht mehr ganz auf der Höhe. Trotzdem wollen wir nicht, dass sie es aus der Zeitung erfährt. Rufst du bitte dort an und fragst den Pflegedienst, wie man sie am besten informiert? Ich bin immer erreichbar. Ciao.“
Die Auskunft des Leiters des Pflegeheims war wenig hilfreich. Frau Bär habe gute und schlechte Tage, manchmal sei sie aufmerksam und klar, zu anderen Zeiten ziehe sie sich zurück oder reagiere sehr wütend auf alles und alle. Fortschreitende Demenz eben, sagte er, sie sei fast neunzig. Er schlug vor, zusammen mit der Stationsleiterin den richtigen Moment abzuwarten und ihr die Todesnachricht schonend beizubringen. „Ich nehme an, Sie wollen auch persönlich mit ihr reden. Ich rufe Sie an, sobald sie es weiss und einigermassen fit ist. Das kann heute Abend sein, aber vielleicht auch erst in ein paar Tagen. Tut mir Leid.“
„Kein Problem, ich verstehe. Sagen Sie, kannten Sie den Sohn? Kam er seine Mutter besuchen?“
„Regelmässig einmal im Jahr, an ihrem Geburtstag, aber sonst sahen wir ihn nie. Ich glaube nicht, dass die beiden ein besonders inniges Verhältnis hatten; sie stritten sich meistens, oder dann schwiegen sie beharrlich. Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass diese Art von Verhalten nicht erst dann auftritt, wenn die Eltern alt werden; die Muster verschärfen oder verstärken sich höchstens. Ich glaube sagen zu können, dass Frau Bär eine sehr dominante Mutter war, die ihren Sohn noch heute als ihr Eigentum betrachtet. Herrschsüchtig könnte man sie auch nennen. Gut, ich melde mich dann bei Ihnen.“
Ziemlich indiskret, dachte Angela, was der Typ über die alte Dame erzählt; er weiss noch nicht mal, wer ich wirklich bin. Wenn sich, wie er sagt, die Verhaltensmuster im Alter verschärfen, wird er später mal ein streitsüchtiges Waschweib. Sie konzentrierte sich wieder auf die Arbeit am Computer, und nach ein paar Stunden hatte sie den Lebenslauf von Guido Bär ziemlich lückenlos vor sich: die Vita eines Mannes mit vielseitigen Interessen, breit gestreuten Erfahrungen und häufigen Veränderungen, aber ohne wirklich bemerkenswerte Brüche. Sie musste sich Zugang zu den Bankdaten von Guido Bär verschaffen, um diese Einschätzung zu bestätigen, aber vor Montag war das kaum möglich. Sie glaubte im Übrigen nicht ernsthaft daran, dass finanziell irgend etwas faul war, aber eine Überprüfung war es alleweil wert. Viel wichtiger schienen ihr die persönlichen Kontakte zu sein, und dafür brauchte sie die Auswertung des Laptops und des Handys, die sie letzte Nacht mitgenommen hatten. Aber was sie vor allem brauchte, war Steff Schwagers Wissen um Zusammenhänge, Informationsflüsse, Seilschaften und Machenschaften in der Region; ohne Steffs Schatz an Gerüchten und Fakten würde die ganze Geschichte viel länger dauern. Der Zugang zu diesem Schatz war allerdings seit heute früh verschlossen, ohne Zauberspruch in Form von Details aus den Ermittlungen ging das Tor nicht wieder auf, das wusste sie. Sie gab sich einen Ruck und wählte
Weitere Kostenlose Bücher