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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Gefängnisstrafen verurteilt. Ich saß da und beobachtete die Geschworenen, dankbar, dass ich nicht zu ihnen gehörte, denn wenn es mir nicht gesagt worden wäre, hätte ich nicht gewusst, wer log und wer nicht.
    Clancy und Alex setzten ihre Streifzüge fort, auch nachdem die Neue Linke eine gesellschaftliche Einheit geworden war, deren Angehörige in der Regel unter sich blieben. Eines Tages sagten sie, sie hätten eine junge Frau gefunden, die von einem griechischen Restaurantbesitzer gefangen gehalten werde, und sie wollten sie befreien und in meine Wohnung bringen. Sie war eine mollige, blonde Schönheit mit verschleierten blauen Augen. Sie war achtzehn Jahre alt, die Geliebte des Griechen. Ihre Eltern, sagte sie, wollten nichts von ihr wissen. Der Grieche hatte Frau und Kinder. Er ließ sie nicht aus dem Zimmer heraus, in das er sie gesteckt hatte. Sie langweile sich, sagte sie. Sie habe Angst vor ihm – sagte sie.
    Offenbar glaubten Clancy und Alex, dass ich nichts weiter zu tun brauchte, als zu sagen: »Nun, komm schon, Mädchen, reiß dich zusammen, so kann es nicht weitergehen.« Denn ganz gleich, was ich sagte und wie ich es formulierte, so würde es sich für sie anhören. Sie war nicht sonderlich intelligent, im Gegensatz zu dem jungen Mann, der jetzt irgendwo seine Gefängnisstrafe absaß, aber sie wusste, dass sie keinen langweiligen Mann wie ihren Dad heiraten und dann wie eine Sklavin für ihn schuften wollte. Ob sie denn nicht schon jetzt eine Sklavin ihres Griechen sei?, fragte ich sie, aber sie lächelte nur – ihr träges, wissendes, kleines Lächeln. Mir war völlig klar, dass sie nur darum eingewilligt hatte, mit den beiden jungen Helden zu flüchten, weil alles, was sie gehört hatte, war, dass man ihr eine Zukunft versprach. Alle Herrlichkeit auf Erden. Vornehme Leute, ein aufregendes Leben mit dieser berühmten Schriftstellerin – Clancy und Alex hatten ihr erzählt, ich sei eine. Sie deutete an, dass sie gern ein Model oder ein Filmstar wäre. Ich war eine Enttäuschung für sie. Sie befingerte Bücher, auf denen mein Name stand, fragte, ob ich die geschrieben hätte. Als ich bejahte, sah sie mich an, ganz die fassungslose Frage: Weshalb leben Sie dann so, weshalb wohnen Sie nicht in einem dieser Häuser, wie wir sie im Fernsehen sehen? Was genau hatten Clancy und Alex ihr versprochen? Offenbar eine allgemeine Verbesserung ihrer Lebensumstände, Veredelung, Aufklärung. Sie tauchten auf, um zu sehen, wie der Prozess voranging, und trafen uns in der Küche an, wo wir uns bei einer Tasse Tee unterhielten. Und bei Stärkerem – sie trank gern ein bisschen Gin oder süßen Likör: Sie war es gewohnt, abends mit ihrem Griechen auszugehen und mit ihm und seinen Freunden zu trinken.
    Sie bediente sich freizügig meiner Kleidungsstücke, denn sie hatte nichts mitgebracht. Sie »platzierte« die Sachen, die sie in die engere Wahl zog, auf eine Seite meines Kleiderschranks und den von ihr verschmähten Rest auf die andere. Danach putzte sie sich heraus. Damals trug ich viel Schwarz. »Warum sind all Ihre Sachen schwarz?« Clancy hatte mir dieselbe Frage gestellt, und ich hatte ihm erwidert: »Offensichtlich betrauere ich mein Leben«, aber zu ihr sagte ich: »Weil Schwarz mir steht.« Sie ließ mich eine rote Bluse anziehen, eine weiße, probierte dieses und jenes Kleidungsstück an mir aus, sagte, ich hätte recht, ich solle Schwarz tragen, aber sie finde, mein Lippenstift … Sie schminkte mich mit ihrem Make-up, dann schüttelte sie den Kopf und sagte: Ja, ich müsste bei dem bleiben, was ich hätte. Absolute Konzentration bei dieser Inspektion von mir und meinen Kleidungsstücken. Aber das hielt nicht lange vor, und sie langweilte sich wieder. Sie wartete darauf, dass etwas passierte. Clancy und Alex kamen, und als sie – schüchtern – fragte, weshalb sie sie hierher gebracht hätten, sagten sie, ob sie daran gedacht habe, noch einmal zur Schule zu gehen, diesen oder jenen Abschluss zu machen, vielleicht auf die Universität? Ich war auf die Art verblüfft, auf die Frauen über Männer verblüfft sind, wenn sie das Offensichtliche nicht begreifen. Da saß sie in meinem kirschroten Morgenmantel – sie zog ihn kaum aus während der zehn Tage, die sie bei mir verbrachte – und rauchte, während Clancy und Alex ihre Brüste bewunderten, denn sie ließ den Morgenmantel bis zur Taille aufklaffen, und sagte, Schule, nein, sie glaube nicht. Dann sagten die beiden, Doris werde sich

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