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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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sich an Rastignac erinnerten –, waren die Frauen, deren Namen damals in den Zeitungen standen, ständig verblüfft darüber, weshalb sie in Theaterfoyers und an anderen öffentlichen Orten von jungen Männern umarmt wurden, die sie kaum kannten und deren Aufmerksamkeiten zwar nicht uns, aber die Zuschauer beeindruckten; oder wir wurden gleichzeitig mit jungen Leuten, die wir kaum kannten, über Sprechanlagen gebeten, zu Hotelrezeptionen oder Flughafenschaltern zu kommen.
    Und nun eine allgemeinere Feststellung. Es hat den Anschein, als wären wir übereingekommen, dass unerfreuliche Tatsachen über einen Menschen mehr über sein wirkliches Selbst enthüllen als erfreuliche, aber warum? Nichts ist leichter als Bosheit, und um etwas zu finden, was einen Menschen in Misskredit bringt, braucht man ihn sich nur genau anzusehen; außerdem hat jeder lebende Mensch Wurzeln, die in den Schmutz hinabreichen: Das gehört zur
conditio humana
. Wir sind geübte Kritiker unserer Mitmenschen, gute Ausschnüffler ihrer moralischen Schwächen. Früher einmal galt Bosheit als Makel, heute wird sie beklatscht. Der heute viel benutzte Ausdruck
dishing the dirt
(jemanden verleumden, schlecht über ihn reden) sagt mehr über uns aus, als uns lieb sein kann: Er ist bezeichnend für unsere niederträchtige Zeit. Und jetzt, falls ich schreibe: Tom war viele Jahre lang ein tatkräftiger, ein brillanter Verleger; er verwandelte Jonathan Cape von einem in den letzten Zügen liegenden Verlag in den lebendigsten in Großbritannien; er fand neue, junge Autoren, setzte sich für sie ein und unterstützte sie; er kämpfte für Bücher, die von den Rezensenten anfangs verächtlich gemacht und verrissen wurden, wie
Hundert Jahre Einsamkeit
und
Catch- 22
; er hat sich Freunde bewahrt, die mit ihm durch dick und dünn gehen … aber ich bin sicher, das Auge des Lesers ist über diese Lobesworte hinweggeglitten in der Hoffnung, auf den Schmutz zu stoßen.
Die Wahrheit.
[21]
    Meine Klage ist jetzt von allgemeinerer Natur: Was passiert mit diesen grandiosen Freibeutern, wenn sie alt werden? Diesen jungen Leuten, die uns mit ihren Taten unterhielten? Sie werden respektabel, und man trifft einen kahl werdenden älteren Herrn, an den man sich seiner kühnen Abenteuer wegen erinnert, und er lispelt etwas über scheinbar jugendlichen Konformismus, was er in Wirklichkeit vom Grund seines tapferen Herzens aus verabscheut hätte.
    Als
Declaration
erschien, wurde Tom Maschler als dessen Urheber sofort berühmt, und es wurde von sämtlichen Zeitungen als Manifest der zornigen jungen Männer beschrieben, als wären sie eine Bewegung oder eine Gruppe. In Wirklichkeit gab es zwei Hauptgruppen, die nicht das Geringste gemeinsam hatten. Die wirklichen Linken waren Kenneth Tynan, der inzwischen sein dandyhaftes junges Selbst hinter sich gelassen hatte, und Lindsay Anderson. John Osborne wurde von anderen Leuten als Sozialist bezeichnet, aber ich glaube nicht, dass er je behauptet hat, einer zu sein. John Wain mag
Hurry on Down
geschrieben haben, das viel Ähnlichkeit mit Kingsley Amis’
Glück für Jim
hatte und meiner Meinung nach genauso gut war, aber er war der Inbegriff des jungen Konservativen.
    Ich nehme an, man hätte sie alle mit Recht zornig nennen können, wegen des Zustands, in dem sich die Nation befand, aber es gab auch drei, die ich bei mir die »Metaphysiker« nannte, und sie waren weder zornig, noch waren sie ihren linken Mitautoren in
Declaration
je begegnet, sondern verachteten diese wegen der in ihren Augen seichten Lebensanschauung. Diese so unterschiedlichen Leute eine Gruppe oder eine Bewegung zu nennen war einfach absurd. Ich lud die drei Metaphysiker zum Tee ein, getrennt. Sie waren reizend. Einer von ihnen war Stuart Holroyd, ein sehr junger Mann, dessen Buch
Emergence from Chaos
damals Aufsehen erregte. Später schrieb er: »… mit fünfundzwanzig war ich so tollkühn, einen Bericht über mein eigenes Innenleben und meine Erfahrungen herauszubringen. Das war Ende der fünfziger Jahre, als die britische Presse viel Aufhebens um die ›zornigen jungen Männer‹ machte, und das war vermutlich einer der Gründe dafür, dass ich mich aufs Gebiet der Autobiografie wagte: All die Beachtung, die uns zuteil geworden war, flößte uns das Gefühl ein, dass das, was wir zu sagen hatten, wichtig war.« Bill Hopkins hatte einen Erstlingsroman geschrieben,
The Divine and the Decay
. Er starb sehr jung. Diese beiden jungen Männer hatten nicht die

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