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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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kalten Verurteilungen an, dann ging ich, um zwei Tage Freiheit zu genießen. Ich ging oft ins Theater. Damals stellte man sich am Morgen für einen Platz in der Schlange am Abend an. Gehörte man zu den Glücklichen, die eine Karte ergattern konnten, erlebte man dann im Parkett oder dem Rang ein Stück für drei oder vier Pfund nach heutigem Geldwert. Auf diese Weise sah ich, manchmal auch stehend, die meisten damals in London gebotenen Stücke. Auch später blieb Theater meine ganz große Leidenschaft.
    Ich reiste nach Paris. Es lässt sich heute nur noch schwer vermitteln, was für ein machtvoller Traum Frankreich damals für die Menschen bedeutete. Die Briten, das heißt diejenigen, die nicht bei der Armee waren, hatten sich während des Krieges und der ersten Nachkriegsjahre wie Gefangene auf ihrer Insel gefühlt. Sie litten regelrecht unter Klaustrophobie, träumten davon, ins Ausland zu reisen, insbesondere nach Paris. Frankreich zog sie magisch an, wegen de Gaulle, dem Freien Frankreich und der Résistance. Jetzt, wo unsere Küche, unser Kaffee und unsere Kleidung gut sind, kann man sich nur noch schwer vorstellen, wie sehr sich die Menschen nach Frankreich als dem Inbegriff der Zivilisation sehnten. Und unter Frauen gab es noch ein weiteres Gefühl. Französische Männer liebten die Frauen und zeigten es, wohingegen man in Großbritannien als Frau äußerstenfalls damit rechnen konnte, dass einem die Arbeiter auf der Straße hinterherpfiffen, was zudem nicht immer freundlich gemeint sein musste. Joan betete Frankreich an. Sie hatte glückliche Zeiten dort verbracht und sprach gut Französisch. Die gegenwärtige Freundin ihres Vaters war Französin. Für Joan war sie der Inbegriff von Schönheit. Sie selbst hielt sich dagegen für ein Nichts. Das traf natürlich nicht zu, aber sie verschloss sich jedem Argument, das sie vom Gegenteil zu überzeugen suchte. (Dies war für mich nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich Frauen begegnet bin, die alle Frauen auf der Welt außer sich selbst durch eine rosarote Brille sahen.) Sieht sie nicht fantastisch aus?, pflegte Joan angesichts einer Frau zu stöhnen, die weniger attraktiv war als sie. Sie hatte sich ein sehr elegantes schwarzes Kostüm schneidern lassen, mit einem engen Rock und einer Weste, wie Männer sie tragen, zu dem sie weiße, am Hals und an den Handgelenken gerüschte Blusen trug. Sie reiste eigens nach Paris, um es beurteilen zu lassen. Dort machten die Männer einem Komplimente über die Kleidung. Sie kam wie neugeboren zurück. Etliche der Frauen, die ich kannte, waren der festen Überzeugung, man müsse im Interesse der Selbstachtung von Zeit zu Zeit nach Paris fahren. Das entbehrte mitunter nicht einer gewissen Ironie. Eine Zeitungskarikatur von damals zeigt einen Franzosen in Soldatenkleidung, alte Jacke, Baskenmütze, eine Gauloise zwischen den Lippen, der eine wie ein Model gekleidete Französin begleitet – ein kleiner, untersetzter, schäbiger Mann, eine hochgewachsene, schlanke, elegante Frau.
    Als ich nach Paris fuhr, konnte keine Rede davon sein, dass meine Kleidung das Niveau erreichte, das Komplimente französischer Männer auszulösen versprach. Aber ansonsten hatte alles seine Richtigkeit. Jeder Mann warf einem einen kurzen Blick zu, prüfte Haar, Gesicht, was man anhatte, benotete einen: eine leidenschaftslose, relativ gleichgültige Musterung, die nicht notwendigerweise zu Einladungen führte.
    Eine Szene: Ich ging in die Oper, und in der Pause sah ich im Foyer eine sehr junge Frau, ungefähr achtzehn, vielleicht in ihrem ersten Abendkleid, einer Säule aus weißem Satin. Sie sah blendend aus, und das Kleid ebenfalls. Sie stand still im Eingang, während die Menge schaute … abschätzte … urteilte. Kein Wort, aber sie hätten ebenso gut Beifall klatschen können. Anfangs war sie nahe daran, vor Schüchternheit sofort wieder zu verschwinden, aber allmählich wurde sie von Zuversicht erfüllt, stand lächelnd da, mit Tränen in den Augen, emporgehoben von unsichtbaren Wellen der Würdigung durch Experten, Beifall, Liebe. Anbetungswürdiges Frankreich, das seine Frauen liebt, ihnen Vertrauen in ihre Weiblichkeit verleiht, und das schon, wenn sie noch kleine Mädchen sind.
    Bei dieser ersten Reise logierte ich in einem billigen Hotel am linken Seineufer, so billig, dass ich es kaum glauben konnte. Gottfried hatte gesagt, ich solle die Mutter seines Schwagers aufsuchen. Ich tat es und fand eine ältere Dame in altmodischer

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