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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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britische Besatzungsmacht zu unterstützen, und habe gerade mitgeholfen, das King David Hotel in die Luft zu sprengen. Und jetzt, wo er seine Pflicht als Jude getan habe, kehre er guten Gewissens nach Südafrika zurück. Frauen sind es gewohnt, Geständnisse zu hören, zumal wenn sie jung – nun, inzwischen nicht mehr ganz so jung – und halbwegs attraktiv sind. Frauen zählen nicht wirklich als Menschen für einen Mann, der betrunken oder aus diesem oder jenem Grund nicht er selbst ist – oder, was das betrifft, auch für viele nüchterne Männer nicht. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass das ein Feind meines Landes war und ich mir überlegen sollte, wie ich die Polizei informierte. Wir landeten. Der Flughafen war fast menschenleer. Ich stellte mir vor, was passieren würde, wenn ich zu der Stewardess sagen würde: »Ich möchte mit der Polizei sprechen.« – »Weshalb?«, konnte ich hören – und ihre Stimme würde gereizt sein, weil sie sich, genau wie ich, nach ihrem Bett sehnte. Die Polizei, ein oder zwei Mann, würde nach einer Weile eintreffen, während ich zusah, wie die anderen Leute verschwanden, um einen Bus zu erreichen. »Ich habe in der Maschine aus Paris neben einem Mann gesessen, der gesagt hat, er habe das King David Hotel in die Luft gesprengt. Unter anderem.« Der Polizist zögert. Er sieht seinen Partner an. Sie mustern mich. Mein Anblick, übermüdet und gereizt, beeindruckt sie nicht.
    »Also, dieser Mann hat Ihnen erzählt, er hat dieses Hotel in die Luft gesprengt?«
    »Ja.«
    »Kannten Sie ihn?«
    »Nein.«
    »Also hat er einer wildfremden Frau erzählt, dass er in Jerusalem Morde und Hochverrat und Gott weiß was noch begangen hat?«
    »Ach, vergessen Sie’s.«
    Aber damit wäre die Sache natürlich nicht erledigt gewesen, und ich würde herumhängen müssen, während skeptische Beamte mich verhörten. Sofern sie nicht zu dem Schluss gelangten, dass ich schlicht dämlich war.
    »Fahren Sie einfach nach Hause und vergessen Sie die ganze Angelegenheit.«
    Tatsache war – und ist –, dass ich sicher war, dass er die Wahrheit sagte. Oder – was vielleicht noch interessanter ist – dass das alles auf starker Einbildungskraft beruhte, das Sprengen des Hotels, der Mord an den Polizisten, dass für ihn alles Wirklichkeit war und jemandem mitgeteilt werden musste, und sei es einer Fremden auf dem Nachbarsitz in einem Flugzeug.
    Ich fuhr auch nach Dublin, auf Einladung von Schriftstellern vermutlich, denn es gab einen geselligen Abend. Aber nicht das ist es, woran ich mich in erster Linie erinnere, was ich nicht vergessen kann. Die Sonne, die trockene Hitze lagen etwas mehr als ein Jahr hinter mir, und ich glaubte, ich hätte in London alles erlebt, was es an Trostlosigkeit und Grauheit gab, aber plötzlich befand ich mich in dieser Stadt voll alter, ungepflegter Gebäude, einer würdevollen Stadt, die stolz auf sich war, aber überall rannten zerlumpte Kinder herum, barfuß, mit von der Kälte geröteten Beinen und hungrigen Gesichtern. Noch nie war mir ein derart armer Ort begegnet wie das damalige Dublin, und es war eine harte, schneidende Armut, unter der auch die Schriftsteller litten, denn einer von ihnen drückte mir ein Buch in die Hand, das
Leaves for the Burning
hieß, zu Unrecht vergessen, von Mervin Wall, der Bericht über ein betrunkenes Wochenende, aber es war das Trinken aus Verzweiflung. Als ich keine zehn Jahre später wieder hinfuhr, war diese Stadt der Lumpen und des Hungers verschwunden.
    Ich habe
Leaves for the Burning
irgendwo besprochen, wahrscheinlich für
John O’London’s Weekly
. Das war eine interessante Zeitschrift, das Produkt einer inzwischen untergegangenen Kultur oder Subkultur. Damals gab es überall in Großbritannien, in Städten, in Dörfern, Gruppen von überwiegend jungen Leuten, die die Liebe zur Literatur zusammengebracht hatte. Sie lasen Bücher und diskutierten über sie, sie trafen sich in Pubs und in ihren Häusern. Einige von ihnen hatten vor zu schreiben, aber das war lange vor der Zeit, zu der es jeden, der einen Roman gelesen hatte, drängte, selbst einen zu schreiben.
John O’London’s Weekly
war nicht sehr anspruchsvoll, sie hatte bei Weitem nicht das Niveau von, sagen wir, der
London Review of Books
heute. Aber sie hatte Grundsätze, von denen sie nicht abging, druckte Gedichte, veranstaltete literarische Preisausschreiben – es ist ein Jammer, dass es heute nichts dergleichen gibt. Eine andere Zeitschrift widmete sich der

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