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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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kommt – seht zu, dass ihr ein paar Mädchen für sie auftreibt.« Es waren ungefähr zehn Männer aus Afrika, Minister oder Beamte von kaum geringerem Rang, die einfach eine Reise nach London genießen wollten. Ganz der Typ Mann meiner Heimat. Ich kannte sie alle dem Namen nach. Groß, übergewichtig und jovial rissen sie während des Essens ununterbrochen Witze über all die Methoden, derer sie sich bedienten, um die Kaffern zu unterdrücken, denn es war damals typisch für diese herrschende Klasse, dass man stolz darauf war, »schlau« zu sein – voll gerissener Tricks. Nach dem Essen zogen wir uns in ein Hotelzimmer zurück, wo ich ständig Gefahr lief, von einem oder mehreren betatscht zu werden. Ein anderes »Mädchen« wies die Männer darauf hin, dass ich eine Feindin sei und sie vorsichtig sein sollten mit dem, was sie sagten. Wieso ich eine Feindin sei?, fragten sie mit dem Unterton derjenigen, die es schlicht für unmöglich hielten, dass es jemanden gab, der nicht ihre politischen Ansichten teilte. »Sie hat ein Buch geschrieben«, sagte diese Frau oder dieses »Mädchen«, eine Südafrikanerin, die vorübergehend in London lebte. »Dann verbieten wir es einfach«, antwortete man ausgelassen. Ein Mann, mit dessen Knie ich unbedingt Bekanntschaft schließen sollte, ob ich nun ketzerische Ansichten vertrat oder nicht, sagte: »Ach, ist uns doch völlig egal, was die Liberalen lesen, sie spielen sowieso keine Rolle. Die Kaffern werden Ihr kleines Buch auch nicht lesen. Sie können nicht lesen, und das ist genau das, was wir an ihnen so lieben.« Das Wort »Liberale« war in Südafrika schon immer gleichbedeutend mit »Kommunisten« gewesen.
    In all den Wohnungen, in denen ich in Salisbury mit Gottfried gelebt hatte, gingen ständig Leute ein und aus, und es wurde nicht nur über Politik und die Veränderung der Welt geredet, sondern auch über den Krieg; in der Church Street war es genauso, nur dass der Krieg hier nicht nur aus Gerüchten und Propaganda bestand, sondern dass es Männer gab, die von den Schlachtfeldern zurückgekehrt waren, sodass wir das, was in Wirklichkeit geschehen war, mit dem vergleichen konnten, was man uns darüber erzählt hatte. Bei Gottfried lagen die Dinge ähnlich – er machte mir bei jedem Zusammentreffen heftigere Vorwürfe. Er durchlebte eine sehr schlimme Zeit. Er hatte geglaubt, er würde in London mühelos eine ihm angemessene Beschäftigung finden. Er hielt sich für kompetent: Hatte er nicht in Salisbury eine große und erfolgreiche Kanzlei praktisch aus dem Nichts aufgebaut? Seine Verwandten in London, bei denen er sich um Arbeit bemühte, wiesen ihn ab. Er war Kommunist und diese Ausländer, in Großbritannien lediglich geduldet; zumindest glaubten sie das. Aber vielleicht konnten sie ihn auch ganz einfach nicht ausstehen. Er bewarb sich um Stellungen auf dem Niveau, von dem er wusste, dass er es verdiente. Niemand wollte ihn auch nur zu einem Gespräch empfangen. Der Witz lag darin, dass es zehn Jahre später wieder schick sein würde, Deutscher und Kommunist zu sein. Inzwischen arbeitete er für die »Society for Cultural Relations with the Soviet Union«. Diese Organisation besaß ein Haus am Kensington Square, wo Vorträge über den glücklichen Zustand der Künste in der Sowjetunion gehalten wurden. Bei jeder Versammlung waren die beiden hintersten Stuhlreihen mit Leuten besetzt, die tatsächlich unter dem Kommunismus gelebt hatten; sie versuchten uns zu sagen, wie schrecklich der Kommunismus in Wirklichkeit war. Wir behandelten sie voller Herablassung – sie waren zu alt, sie wussten nicht Bescheid, mit anderen Worten: Sie waren
reaktionär
. Eine kalkulierte Zuspitzung, schmeichelhaft für denjenigen, der sie gebrauchte, und stets die sicherste Methode, jeder ernsthaften gedanklichen Auseinandersetzung ein Ende zu bereiten. Gottfried verdiente nur sehr wenig Geld. Er wohnte bei Dorothy Schwartz. Der Höhepunkt des Kalten Krieges – oder sein Tiefpunkt – hatte zur Folge, dass er noch bitterer und verächtlicher auf alles reagierte, was, und sei es auch noch so geringfügig, von der Parteilinie abwich. Ich fragte mich trotzdem nicht: Wie hattest du es nur so lange mit ihm aushalten können? Wir hatten keine Alternative gehabt. Über das Kind gab es keine Meinungsverschiedenheiten. Peter verbrachte die meisten Wochenenden bei Gottfried und Dorothy. Ich brachte ihn hin, setzte mich, trank eine Tasse von diesem oder jenem und hörte mir die grauenhaften,

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