Schritte im Schatten (German Edition)
man damals glaubte, die Erreger könnten nur durch die Harnröhre eindringen. Es war die allerwahrscheinlichste Sache der Welt, dass ich Bilharziose hatte. Ein negativer Test bedeute noch nicht, dass ich keine hätte, sagte Matthew. Die Behandlung war langwierig und scheußlich; mindestens einen Monat lang tägliche Injektionen von Antimon. Der größte Teil der schwarzen Bevölkerung hatte Bilharziose; es war eine der in Afrika endemischen Krankheiten. Wenn die lange und schmerzhafte Behandlung vorbei war, war damit zu rechnen, dass der Leidende die Krankheit abermals bekam, wenn er in diesem Land lebte, was bei den meisten passierte, denn in den Flüssen und Teichen, in denen sie sich alle wuschen und aus denen sie Wasser schöpften, wimmelte es von Bilharzia. Heutzutage genügen ein paar Tabletten, und man ist geheilt – einfach so. Ich sagte, ich könne es unmöglich aushalten, einen Monat lang täglich eine Injektion zu bekommen, aber Matthew sagte, er habe gerade eine neue Behandlungsform entwickelt, die darin bestehe, dass die gesamte Antimon-Dosis an drei Tagen verabreicht werde. Ob ich sie nicht versuchen wolle? Sie sei drastisch, aber sie funktioniere. Außerdem würde ich auf diese Weise einen Beitrag zur Wissenschaft leisten, weil die Methode noch erprobt werde. Ich begab mich in ein Krankenhaus mit engelhaften jungen Nonnen mit himmelblauen Habits und Schleiern. Ich bekam vier Injektionen am Tag. Nach jeder klopfte und pumpte das Herz und zitterte, als ob es explodieren wollte, ich lag da, rang nach Atem, dachte, dies sei der Tod, schwor mir, ich würde nicht zulassen, dass sie mir eine weitere Dosis verabreichten, und dann, gerade wenn es unerträglich geworden war, hörte der Tumult im Körper auf. Die jungen Engel standen herum, besorgt, aber lächelnd, während ich viermal am Tag glaubte, sterben zu müssen. Eines Tages erschien Matthew, ernst, autoritär. »Du siehst gut aus.«
»Aber ich fühle mich grauenhaft, Matthew. Bist du sicher?«
»Es ist alles in bester Ordnung. Die Behandlung der Zukunft.«
Vier Tage später kroch ich aus dem Hospitalbett, mitgenommen, zitternd, vergiftet, krank. Aber vermutlich ohne Bilharziose. Aber ich war nicht weniger müde als zuvor. Dann bekam ich mein drittes Kind, schrieb die
Afrikanische Tragödie
, kam nach London.
Einige Zeit später sollte auch Matthew nach London kommen; er arbeitete am Institut für Tropenkrankheiten und anderen Spezialkrankenhäusern, ein weltweit bekannter Experte für Bilharziose. »Wie geht es dir?«
»Gut, abgesehen davon, dass ich ständig müde bin.«
»Vielleicht hast du Bilharziose.«
»Aber du hast mich von Bilharziose kuriert.«
»Ach, wirklich? Habe ich dich behandelt?«
»Du hast mir die Drei-Tage-Blitzbehandlung verpasst.«
»Die wird nicht mehr angewendet. Wir haben etliche Leute damit umgebracht. Allerdings nur Eingeborene. Die haben nicht die Widerstandskraft, um sie durchzustehen.«
Ja, ich muss leider zugeben, dass ich ihm erlaubte, mich abermals zu testen. Das Ergebnis war wieder negativ, und abermals wurde behauptet, das brauche nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Es war fast so, als wäre ich begierig darauf, allem und jedem zuzustimmen, zu gefallen, unfähig, das simple Wort Nein auszusprechen. Ich nutzte die Zeit, während Peter im Internat war, und erklärte mich bereit, ins Institut für Tropenkrankheiten mit dem berühmten Arzt zu gehen. Ich war einen Monat lang dort. Kostenlos natürlich. Die Behandlung beschränkte sich jetzt wieder auf eine Dosis pro Tag; das war zwar nicht angenehm, aber auch nicht schmerzhaft oder beängstigend. Die Ruhe tat mir gut. Ich lag im Bett, las, dachte über das
Goldene Notizbuch
nach und rauchte. Man versicherte mir, dass niemand, der die Antimon-Behandlung bekam, länger als ein oder zwei Tage rauchte. Ich rauchte während der gesamten Zeit. Matthew pflegte an meinem Bett zu erscheinen, hochgewachsen, langsam und mit gelehrtem Gestus, versicherte mir, dass alles in bester Ordnung war; dann begab er sich zu der anderen Frau in dem Zimmer, die sämtliche Ärzte faszinierte. Sie war Nonne, eine Engländerin, die in Nigeria gearbeitet und sich dort eine mysteriöse Krankheit geholt hatte, die bewirkte, dass ihre Beine immer wieder anschwollen und sich rosa, scharlach- oder himbeerrot färbten. Es war das zeitweise Auftreten dieser farbenprächtigen Heimsuchung, was die Ärzte fesselte. Offensichtlich irgendein der Wissenschaft noch unbekannter Wurm. Schwester Lucy lag im
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