Schritte im Schatten (German Edition)
dem Druck von Autorität. Ich habe nicht »weibliche Passivität« geschrieben, denn wenn es um Ärzte geht, gibt es, wie ich glaube, kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Man hat uns allen beigebracht, das zu tun, was uns gesagt wird. Das Erste, was ein Baby und dann ein Kleinkind hört, ist: »Hier ist der Doktor … der Doktor hat gesagt … nimm deine Medizin, der Doktor will es … der Doktor hat gesagt, du musst im Bett bleiben.« Er – und neuerdings auch sie – ist von Anfang an die höchste Autorität in der Familie, und in der Ära der Hausbesuche konnte ein Kind beobachten, wie ein ganzer Haushalt darauf wartete, dass der Doktor erschien und ihnen sagte, was sie tun sollten. Aber jetzt, da diese Ära der Hausbesuche vorbei ist, wird sich das vielleicht wieder ändern.
Was mich heute verwundert, ist, dass meine Mutter, obwohl sie den Ärzten zu sagen pflegte, was sie zu tun und was sie zu verschreiben hatten, dennoch deren Autorität gegenüber ihrem jeweiligen Patienten gebrauchte – meinem Vater, meinem Bruder, mir. Das lag an der überaus strengen Disziplin, die den Schwestern damals beigebracht wurde, denn sie durften nie auch nur das Geringste tun, es sei denn, der Arzt hatte es angeordnet. Auf der Farm, als mein Vater sehr an Diabetes litt oder den daraus resultierenden Beschwerden, setzte sie ihn in den alten Wagen und stieg neben ihn ein, um sein Gesicht auf Anzeichen von Koma oder Kollaps hin zu beobachten, und ich fuhr den Wagen nach Salisbury. Was sind schon siebzig Meilen? Nichts. Aber die Straße war auf der ganzen Strecke wellig, große, flache Wellen in der kiesigen, sandigen Oberfläche, über die man entweder so schnell hinwegfahren musste, dass der Wagen und seine Insassen ratterten und vibrierten, oder so langsam, dass man vom Kamm einer Erhebung hinunterschlitterte und die nächste hinauf. Es musste die langsame Fahrweise sein, weil mein Vater so krank war. Die Fahrt konnte fünf bis sechs Stunden dauern, mit Ruhepausen für meinen Vater. Auch als man wegen der Fahrspuren – anstelle des die ganze Straße bedeckenden Asphalts gab es Fahrspuren für die Räder – schneller vorankam, war es immer noch ein schwieriges Geschäft, denn die Kanten der Fahrspuren waren zerklüftete kleine Klippen, und wenn man nicht aufpasste, rutschte man ab und landete in lockerem Sand. Mein Vater saß da, blass und schwitzend, hielt sich mit einer Hand an der Seitenwand des Wagens fest und mit der anderen an meiner Mutter. Und im Krankenhaus wurde er dann für einen Vormittag oder einen Tag aufgenommen, für Tests, die meine Mutter bereits auf der Farm durchgeführt hatte, und der Arzt erzählte meiner Mutter, was sie bereits wusste, denn es war das, was sie ihm gesagt hatte. Mein Vater wurde für eine Nacht in einem Hotelbett untergebracht, und dann am nächsten Tag ging es die qualvoll lange Fahrt zurück zur Farm. All das nur der Autorität des Arztes wegen. Verrückt. Aber so war es. So musste es damals sein.
Das goldene Notizbuch
gilt allgemein als mein bester Roman. Vielleicht ist er das, aber ich habe meine eigenen Ansichten darüber. Autoren gelten durchweg als schlechte Richter, was ihre eigenen Arbeiten betrifft. Fast vierzig Jahre nachdem er geschrieben wurde, verkauft er sich immer noch gut und wird oft nachgedruckt, und das nicht nur in europäischen Ländern. Seine Geschichte illustriert das Auf und Ab, das einem Roman widerfahren kann.
Leute fragen immer: »Weshalb haben Sie diesen Roman geschrieben, jenen Roman, diese Erzählung, wie ist es dazu gekommen?« Aber die Antwort ist nie einfach zu geben. Es kommt vor, dass man jahrelang über einen Roman nachdenkt, weil man keinen Weg findet, ihn zu schreiben, und dann kann die Lösung plötzlich da sein, vielleicht in einem Traum oder in einer Reihe von Träumen; jedenfalls ist das, was schwer erschien, mit einem Mal ganz einfach geworden. Das ist mir bei
Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf
passiert. Die Reihe »Canopus im Argos: Archive« hat aus irgendeinem Grund den zehn Jahren Unvermögen ein Ende gemacht.
Ehen
ist der zweite Band der Reihe und sticht ziemlich aus ihr hervor. Wie so oft war die Lösung schlicht: Ich benutzte die uralte Stimme des Geschichtenerzählers, und alles war, wie es zu sein hatte. Ein Roman kann einem plötzlich in den Sinn kommen, wie
Die Terroristin
. Die Entstehung des
Goldenen Notizbuchs
war nicht langwierig, aber komplex, nicht nur wegen dem, was darin eingegangen ist,
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