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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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mit der Frau im Bett neben mir an. »Ich sagte Ihnen bereits, Mrs. – wie heißt sie? – Mrs. Jones, Ihnen fehlt nichts. Sie müssen Ihren Mann zu mir schicken. Es liegt an ihm, dass Sie nicht schwanger werden. Haben Sie ihm das gesagt?«
    »Er wird so wütend«, weint die Frau.
    »Ach, er wird wütend? Weshalb verschwenden Sie dann meine Zeit? Und öffentliche Gelder? Wissen Sie, was Sie den Steuerzahler kosten? Nein? Das sollten Sie aber wissen.« Die kalte, sarkastische Stimme fährt fort. »Kommen Sie nicht wieder her, Mrs. … Sagen Sie ihm, dass er kommen muss.«
    »Aber er wird es nicht tun, Doktor«, weint sie.
    »Das ist Ihr Problem, nicht meines.«
    Inzwischen stelle ich fest, dass die junge Schwester verlegen ist. Und ich denke: Man erwartet doch hoffentlich nicht von mir, dass ich vor all diesen pickligen Jünglingen die Beine breit mache? Ich hatte zwar immer entschlossen gegen Prüderie gekämpft, aber das ging zu weit. Die jungen Studenten sind schon jetzt nervös, grinsen, wechseln Blicke. Ich bin die jüngste Frau in diesem Zimmer. Die Schwester hat ein Tuch oder eine Serviette in der Hand, ungefähr einen halben Quadratmeter groß. Was hat sie damit vor? In dem Augenblick, in dem der Arzt ans Fußende meines Bettes tritt, zieht sie die Decke herunter, die meinen Unterleib bedeckt. Er wirft einen Blick auf seine Unterlagen, dann starrt er auf mich herab. »Erwarten Sie von mir, dass ich meine Studenten unterweise, während Ihre Beine übereinandergeschlagen sind?« Die Schwester zischt: »Machen Sie die Beine breit«, und hält mir das armselige Stückchen Stoff vors Gesicht. »Vergeuden Sie nicht meine Zeit, Mrs. …«, sagt der Doktor. Ich mache die Beine breit, obwohl ich eigentlich aufspringen, ihm ins Gesicht schlagen, die gaffenden Studenten beschimpfen sollte. Ich tue nichts dergleichen. »Hier haben wir ein Beispiel für eine perfekte Multiparia«, sagt der Doktor. »Drei Kinder …« Er schaut wieder auf seine Unterlagen. »Ja, drei. Ein Jammer, dass wir so etwas nicht öfter sehen.« Da steht er breitbeinig auf seinen hingepflanzten Beinen, wie Cecil Rhodes, der von Kapstadt aus über den afrikanischen Kontinent nach Norden blickt, und erhebt seine Stimme und sagt zu dem Zimmer ganz allgemein: »Frauen sollten ihre Kinder jung bekommen. Das ist es, was die Natur verlangt. Der Grund dafür, dass sie all diese Beschwerden haben, ist, dass sie ihre Kinder nicht jung genug bekommen haben.« Er wandert weiter, gefolgt von seinem mit Stolz gesalbten Gefolge. Ich hätte ihn natürlich umbringen können, aber das jammervolle Wehklagen und die Anschuldigungen des feigen Opfers bleiben immer unausgesprochen. Die Schwester, sich schämend und auf meiner Seite, auf die Serviette ebenso wütend, wie ich es bin, sagt mit leiser Stimme: »Sie sollten sich jetzt anziehen. Es ist alles in Ordnung.« Sie geht rasch zu der Frau im Nebenbett, die hemmungslos weint. »Schhh …«, sagt sie. »Ziehen Sie sich an. Ich bringe Ihnen eine Tasse Tee. Er bellt zwar, aber er beißt nicht.« Die Frau und ich verziehen uns deprimiert in die Kabinen. Während ich mich anziehe, höre ich, wie sie unter ihrem Übermaß an Kummer zusammenbricht. Ich sehe durch den Vorhang, dass sie auf einem Untersuchungsbett liegt, mit einem Arm über dem Gesicht. Ihr lautes Schluchzen macht uns allen zu schaffen. In mir toben wütende Emotionen. Wie konnte ich mich nur so einschüchtern lassen?
Warum
? Was haben Ärzte an sich, dass sie mich so hilflos machen?
    Vor meiner Reise von Salisbury nach London, in jener langen, schlimmen Zeit, von der ich glaubte, dass sie nie enden würde, sagte ich zu einem Freund, einem Arzt, dass ich immer müde sei. Es könnte sein, dass du Bilharziose hast, sagte er. Er war ein Experte für Bilharziose. Eines der Symptome ist Lethargie und Müdigkeit. Nennen wir ihn Matthew. Als ich ihn kennenlernte, stand er noch ganz am Anfang, aber der Erfolg und seine Patienten hatten ihn sich ein langsames, gelehrt wirkendes Auftreten aneignen lassen. Wir zogen ihn damit auf. Er testete mich auf Bilharziose. Negativ. Nun, man kann Bilharziose durch die Haut bekommen, schon der flüchtigste Kontakt mit verseuchtem Wasser kann sie auslösen, und ich war während meiner ganzen Kindheit ständig im Wasser gewesen. Nein, ich hatte nicht in einem Teich mit stehendem Wasser gebadet, in dem es von Pflanzen wimmelte, an denen die Schnecken klebten, aber ich hatte möglicherweise Hände und Füße hineingesteckt, weil

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