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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Bett, las in Frauenzeitschriften und der Bibel, mit einer Klingel neben ihrem Bett, auf deren Knopf sie drücken sollte, sobald ihre Beine anfingen, anzuschwellen und sich zu verfärben. Mehrmals täglich hallte der Flur von hastigen Schritten wider, wenn Ärzte und Schwestern aus dem ganzen Krankenhaus angerannt kamen. Sie scharten sich um die rot werdenden Beine, nahmen Haut- und Blutproben, sagten: »Faszinierend … unglaublich … erstaunlich«, und dann verließen sie widerstrebend das Zimmer, denn oft hatten die Beine bereits begonnen, wieder abzuschwellen. Schwester Lucy war eine ungefähr fünfzigjährige Frau, die jahrzehntelang in Nigeria gelebt und an irgendeinem abgelegenen Ort gearbeitet hatte; sie hatte die Heiden gelehrt, Gott zu lieben, aber auch Lesen und Schreiben. Wie ich hatte sie Zeit, sich auszuruhen. Andere Nonnen kamen zu Besuch, brachten ihr Zeitschriften, Liebesromane, Pralinen, rosa Flauschpantoffeln, ein rosa Bettjäckchen. Dann wurde sie zur Behandlung auf eine andere Station gebracht, und an ihrer Stelle kam Mrs. Ada Dimitrios, eine große, stille, unscheinbare Engländerin mit glattem, hellem Haar und perfekt rosa lackierten Fingernägeln; sie hatte sich Frisur und Fingernägel maniküren lassen, bevor sie ins Krankenhaus kam. Sie lehnte sich gegen keusche weiße Krankenhauskissen und geblümte Kissen, die sie mitgebracht hatte, und las den
Daily Mirror
, den
Daily Express
und massenhaft Unterhaltungsromane. Sie könne nicht genug davon bekommen, sagte sie; sie war ausgehungert nach Lesestoff.
    Das war ihre Geschichte: Zwei muntere englische Mädchen waren allein nach Griechenland gefahren, um dort Ferien zu machen. Das war Anfang der fünfziger Jahre gewesen und für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich und mutig. Ihre Schwester Maureen hatte sie dazu überredet. »Sie hat Ausländer schon immer gemocht. Ich eigentlich nie.« In Athen saßen sie an einem Tisch in einen Café, wo sie von einem griechischen Kaufmann beobachtet wurden, der nur einen Blick auf dieses rosaweiße, blonde englische Mädchen zu werfen brauchte, um sich in sie zu verlieben, einfach so,
peng
, ein Kopfsprung. Er überschüttete die Mädchen mit Blumen und Pralinen und verlangte, dass Ada ihn sofort heiratete. Sie sagte: »Weshalb fragen Sie nicht Maureen? Sie lebt gern im Ausland.« Aber Ada heiratete ihren Aristide. »Nenn mich Ari.« – »Nein, ich werde dich Harry nennen.« Sie ging mit ihm nach Nigeria, nach Kano, einer Stadt im Norden, deren Name an Kamele, Karawanen, Muezzins und Märkte voll mit Gewürzen und allen möglichen Verlockungen denken lässt. Kano ist eine alte Handelsstadt, war es schon immer gewesen, und Adas Geschichte ist Romantik pur. Ada aus Croydon fand sich in einem großen, alten Haus mit riesigen, luftigen Zimmern wieder, vor der Hitze durch hohe Bäume eines riesigen Gartens geschützt, und mit einem Flachdach, auf dem sie in den meisten Nächten schlief.
    »Zuerst liebten wir uns«, sagte sie. »Dann gingen wir aufs Dach. Harry hat immer gesagt: ›Nun komm schon, wir können uns auch auf dem Dach lieben, alle tun es.‹ Ich habe Nein gesagt. Ich kenne den Unterschied zwischen Richtig und Falsch.«
    »Lieben Sie ihn?«, erkundigte ich mich, weil ich keinen Grund dafür sah, nicht zur Sache zu kommen.
    »Die Leute reden über die Liebe. Ich habe nie gewusst, was sie damit meinen. Ich könnte mich nie mit einem anderen Mann als Harry einlassen, wenn das Liebe ist.«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriffen hatte, dass er sehr reich und erfolgreich war. Er war Händler. Er arbeitete schwer. Tagsüber bekam sie ihn kaum zu Gesicht.
    »Sind Sie einsam?«
    »Einsam? Das Wort verstehe ich auch nicht. Ich bin gern für mich. Bin es schon immer gewesen.«
    Manchmal war sie zu den Märkten hinuntergegangen, in Begleitung eines Dienstboten, weil Harry ihr sagte, sie müsse von Zeit zu Zeit aus dem Haus gehen, aber was sie am liebsten tat, war, allein in ihrem riesigen Zimmer zu sitzen, in dem auf Gestellen am Fenster Unmengen von Blumen standen, sodass der Luftzug von dem großen Deckenventilator ihren Duft durchs Zimmer wirbeln konnte, und den
Daily Mirror
zu lesen, der per Luftpost aus London kam. Sie hatte keine Freundinnen. Sie verköstigte die Geschäftsfreunde ihres Mannes, wenn er sie bat, ein Mittag- oder Abendessen zu arrangieren, aber die Dienstboten taten die ganze Arbeit, sie war ihnen nur lästig, wenn sie sie aufforderte, dieses oder jenes zu kochen. Mit den

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