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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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entfernt war, dass ich das Gefühl hatte, in die Welt eines Romans einzutreten. Seine Freunde gingen zu Pferderennen, wetteten, hatten Lieblingspubs und waren alle Torys. Beim
Express
war er ein vielversprechender junger Mann, den seine Vorgesetzten und vor allem der »Große Boss« selbst im Auge behielten. Wenn Beaverbrook ein Artikel gefiel, ließ er durch einen Boten hundert Pfund überbringen. Dieses anmaßende Verhalten amüsierte mich, aber dem strebsamen Lehrling gefiel es. Außerdem arbeitete er, ich habe vergessen, warum oder wie, für Bernstein bei Granada Television. Er gefiel sich in dieser Position als Lieblingssohn mächtiger Männer. Eines Nachts klingelte gegen drei Uhr das Telefon. Bernstein. Am nächsten Tag sollte bei Granada gestreikt werden, und Bernstein war empört, aber seine Fassungslosigkeit darüber war noch weitaus größer. »Wie können sie mir das antun?«, fragte er immer wieder. »Lieben sie mich denn nicht?«
Lieben sie mich denn nicht?
 – das war schon immer der Aufschrei der Despoten. Ich hörte zu, wie mein Geliebter auf Zeit sagte: »Doch, natürlich bewundern sie Sie, das tun wir doch alle.« Das war damals keineswegs der Fall, aber Frauen sehen Geschichte oft aus der Froschperspektive. Bernstein ist ein weiteres Beispiel für einen Mann, der zu Unrecht vergessen worden ist. Er hatte sich vorgenommen, das Niveau der Fernsehproduktionen zu heben, und er tat es. Keiner unserer jetzigen Fernsehgewaltigen hat den Mumm dazu, so abenteuerlustig und mutig zu sein, wie Granada Television es damals war.
    Es kam ein Augenblick, in dem mir meine Situation schlagartig klar wurde. Ich war in Chelsea, von einkaufenden Frauen umgeben, mitten am Vormittag, und machte mit dem Hund einen Spaziergang. Was zum Teufel tat ich hier eigentlich?
Was für einen Sinn hatte das Ganze?
Ich machte Schluss mit ihm und kehrte nach Hause zurück. Sein Panzer aus echtem Kummer war zu stark, als dass ihn das hätte verletzen können. Was mich betraf, so war ich zu dem Schluss gelangt, dass ich ein »Falling-in-love«-Junkie geworden war. Ich war süchtig nach dem Zustand des Verliebtseins – ein Highsein, ein Fix. Das heißt, dem leichten Rauschzustand, der nichts mit wirklicher Liebe zu tun hat. Wie kam es, dass mir das vorher nicht bewusst geworden war? Schließlich brauchte ich mir doch nur ein paar der Dinge anzuschauen, die ich geschrieben hatte,
Aus Gewohnheit lieben
zum Beispiel. Geschrieben nach dem Rückzug aus den vergeblichen Versuchen, die Geschichte mit Jack – nur aufgeregter und unbesonnener – zu wiederholen.
    Diese Erkenntnis war ein echter Schock für mich. Eindeutig das Ende von etwas. Ich schrieb
Wie ich endlich mein Herz verlor
. Dann kehrte ich zum
Goldenen Notizbuch
zurück, fügte es aus Material zusammen, das sich bereits, mehr oder minder geordnet, in meinem Kopf befand.
     
     
    Ich schrieb ziemlich viel in der Langham Street, vor allem
Das goldene Notizbuch
und
Landumschlossen
. Ich stand morgens früh auf. Ich zog Hose, Bluse und Pullover an; bürstete mein Haar, putzte mir die Zähne – machte Tee. Dann eine Tasse Tee nach der anderen, den ganzen Vor- und Nachmittag, unterbrochen von kurzen Abschnitten erfrischenden Schlafs. Manchmal schrieb ich mit kleinen Unterbrechungen den ganzen Tag. Es kam vor, dass die ganze Arbeit eines Tages im Papierkorb landete. Abends sackte ich erschöpft vor dem Fernseher zusammen oder wanderte allein durch die Straßen. Woche um Woche. Nicht sonderlich aufregend, das Leben einer arbeitenden Autorin. Das ging ungefähr ein Jahr lang so, aber wenn Peter nach Hause kam mit einem Freund, fuhr ich mit ihnen nach Cornwall. Die Wohnung war für die Energien halbwüchsiger Jungen ganz einfach zu klein.
    In diese Zeit fallen zwei Erlebnisse mit Ärzten, nicht ohne Bezug zum Thema Passivität.
    Ich liege in einem Bett in einem unserer angesehensten Lehrkrankenhäuser, um mich einer gynäkologischen Untersuchung zu unterziehen. Ich bin ständig müde, und man ist der Ansicht, dass der Zustand meiner Gebärmutter die Ursache dafür sein könnte. Zwölf Frauen liegen in ihren Betten, und wir warten auf die Visite. In dem Bett neben mir liegt eine Frau, die sich verzweifelt bemüht, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Eine junge Schwester behält uns im Auge. Der Chefarzt tritt ein, gefolgt von ungefähr einem Dutzend sehr junger Männer. Er spricht mit kalter, sarkastischer Stimme – schon wenn man sie hört, zuckt man unwillkürlich zusammen. Er fängt

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