Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
Anfangszeit des kanadischen Fernsehens gewesen. Sie ähnelte Lucille Ball und Lana Turner, mit einem festen, runden Hintern (oder Arsch), straffen, kess vorstehenden Brüsten, einer netten, schwesterlichen Sinnlichkeit. Eine Zeit lang sahen Frauen, die aus Kanada und Amerika herüberkamen, so aus, aber dann verlangten die Sechziger neue Körperformen: kämpferisch, mitwirkend. Der größte Teil der kanadischen Gemeinde hatte die Partner gewechselt. Reuben war ein außerordentlich netter Mann … meine ich »gut«? Nein. Er hatte etwas an sich, etwas Menschliches. Es gibt eine Menge Leute, zu denen man alles sagen kann, wenn die jeweiligen Toleranzgrenzen ein spezielles Thema zulassen, aber es kommt kein Echo aus ihren Erfahrungen oder aus ihrem imaginativen Begreifen zurück. Bei Reuben konnte man alles sagen, und er verstand es. Ein Grund dafür, weshalb ich ihn so gern besuchte, war, dass er Peter mochte und nett war zu diesem Jungen, der so dringend einen Vater brauchte.
    Reuben hatte Pech mit seinem Timing. Er schrieb ein paar Drehbücher, und sie wurden verfilmt, eines davon mit Norman Wisdom, aber sein Talent lag eindeutig auf dem Gebiet der »zornigen« Satire, wie man an
The Investigator
sehen konnte. Er war für die Satirerevolution der Sechziger zu früh dran. Er starb, weil er zu viel trank, aber ich weiß nicht, ob er das aus Enttäuschung über sein Werk tat.
    Wenn Peter im Internat war, hatten Reuben und Elaine Zeit, ihre Pläne, mich wieder unter die Haube zu bringen, weiterzuverfolgen. Besuchte ich sie in ihrer Wohnung in Chelsea, kam es vor, dass dort dieser männliche Gast auf mich wartete, den überzählige oder alleinstehende Frauen bei Bekannten so oft vorfinden – heute seltener als damals. Aber ungebundene Frauen machen selbst gute Freunde nervös. Reuben und Elaine versuchten mich mit zu Besuch weilenden Kanadiern oder Amerikanern zusammenzubringen. Sobald es irgend möglich war, pflegte ich dem Mann zuzuflüstern: »Keine Angst – ich will nicht heiraten.« Danach benahmen wir uns wie zwei Kinder, die vor den Erwachsenen ein Geheimnis haben. »Was gibt es da zu lachen?« Zwischenzeitlich saßen die beiden Zukünftigen Seite an Seite und schauten schuldbewusst, aber mit sich äußerst zufrieden drein.
    Einer der Männer, mit dem sie mich verkuppeln wollten, ist aus Gründen einer Erinnerung wert, die mir selbst damals schockierend vorkamen. Er war Witwer mit einer sehr kleinen Tochter, zwei oder drei Jahre alt. Er erzählte mir, dass sie im selben Bett schliefen und er dafür sorge, dass sie mit seinem Körper vertraut war, und sie dazu ermutige, seine Geschlechtsteile zu untersuchen und sogar damit zu spielen. »Sie wird nie unter Penisneid leiden«, sagte er, stolz auf sich selbst und im Glauben, den Obskurantismus zu bekämpfen. Ich sagte ihm, dass diese Praxis unvorhersehbare Folgen für sie haben könne, dass sie zum Beispiel später vielleicht nie in der Lage sein werde, sich so weit von ihm zu befreien, dass sie jemand anders lieben könne. Er war enttäuscht über meinen Mangel an wirklichem Verständnis. Er war ein großer, dicht behaarter, sorgenvoller Mann, schwerfällig im Sprechen und Denken und völlig im Banne Freuds. Wir haben heute vergessen, welche Tyrannei Freud in jener Zeit ausübte. Man konnte mit jemandem, der »Freud« sagte, ebenso wenig diskutieren wie mit einem Stalinisten. Besagter Gast und ich passten ungewöhnlich schlecht zusammen, und unsere heimliche Übereinkunft, dass keiner von uns beiden vor Heiratsabsichten des anderen Angst zu haben brauchte, hatte mehr Gewicht als üblich.
     
    Da gab es noch einen anderen jungen Witwer. Seine Frau war plötzlich gestorben, und man war sich einig, dass er so schnell wie möglich wieder heiraten sollte. Das war unsinnig, denn er war von Kummer zerfressen und stand unter Schock. Ich verliebte mich in ihn. Aber nicht allzu sehr. Genug, um den gesunden Menschenverstand über Bord zu werfen. Ich zog sogar in sein kleines Haus in Chelsea, ein kleines Schmuckstück, in dem sich ein wunderschöner Setter befand, der sein Frauchen heftig vermisste, und Schränke voller Kleidungsstücke der toten Frau. Wieder wurde ich von etwas Unterbewusstem mitgezerrt, einer Fortsetzung der schlaffen Willenlosigkeit der Zeit nach der Trennung von Clancy. In Wirklichkeit war es das Ende von etwas anderem, das Ende der Passivität.
    Er arbeitete für den
Daily Express
. Ich befand mich plötzlich in einer Welt, die von meiner eigenen so weit

Weitere Kostenlose Bücher