Schritte im Schatten (German Edition)
so weiter – die Kosten, die nur bei Hausbesitzern anfallen. Und ist es die Sache wert? Tausendmal ja. London ist ein Füllhorn der Freuden.
Meine Zeit in der Langham Street lief ab. Ich musste die Wohnung verlassen, und das Haus war immer noch nicht renoviert. Während die »Piraten« sich mit ernsthaften Dingen wie Fußböden und Wänden beschäftigten, stand eine Gruppe von uns, Freunde und Peter und ich, auf Stühlen und Gerüstböcken und entfernten die alten Tapeten, sieben, acht, neun oder sogar noch mehr Schichten, und die untersten Schichten stammten noch aus der Viktorianischen Zeit, hübsche Muster auf dickem, schwerem Papier. Mit einem Packen hielt man siebzig Jahre Sozialgeschichte in der Hand, aber sämtliche Stücke und Fetzen der alten Tapeten landeten in einem Feuer auf dem Hinterhof, ebenso das gesprungene und verrottende Linoleum, das einst gut und glänzend gewesen war, und die wurmzerfressenen Dielenbretter, die alten Regale und die zerfetzten Vorhänge. Aber die Substanz der Wände war solide, und wenn man unter den Putz schaute, waren die Latten neu und sauber und die Ziegelsteine neu und hell. Dies war ein solides altes Haus, für eine kleine Ewigkeit gebaut.
Keine fünfhundert Meter entfernt wurden solche Häuser straßenweise abgerissen. Es war der Beginn der sechziger Jahre und der Gipfelpunkt des offiziellen Vandalismus. Als ich zu den »Piraten« sagte, es sei eine Tragödie, dass diese guten Häuser in Wolken von Staub und Trümmern verschwänden, dachten sie nach und sagten: Ja, wenn man sich’s recht überlegt, sie sind genauso wie die Häuser in Chelsea, wo wir bei unserem letzten Job gearbeitet haben, stimmt’s, Jack, stimmt’s, John? Ja, das stimmt, John, ja, das stimmt, Jack. Jetzt kann man diese Häuser in Chelsea nicht mehr kaufen, es sei denn, man hat mehr Geld, als du oder ich in unserem Leben je haben werden, stimmt’s, Jack, stimmt’s, John? Ja, das stimmt, John, das kannst du laut sagen, Jack.
Ich ging oft hin und schaute zu, wie diese Häuser einstürzten, und mir tat das Herz weh. Ich sah, wie das Haus zu Staub zerfiel, das die Sommerfields zu einem kleinen Paradies gemacht hatten. Wo es einst stand, stehen jetzt Hunderte von Metern kalte, scheußliche, graue Sozialwohnungen.
Ich stand in der neu eingerichteten Küche, als eine Beamtin von Camden erschien, eine linke Stadträtin, und sagte, mit einer verächtlichen Geste auf das kleine Gewirr von Straßen deutend, in dem wir uns befanden: »Je eher wir all diese Leute in den neuen Sozialwohnungen unterbringen, desto besser.« Und ich sagte: »Aber das hier ist eine alte Arbeitergegend. Die Leute leben seit Jahrzehnten hier zusammen.«
»Wir holen sie alle hier heraus«, sagte sie. »Wir werden hier Ordnung schaffen.«
Was die Leute in der Gegend sich wünschten, sofern irgendwelche Beamten sich darum gekümmert hätten, was sie dachten, war, dass ihre Häuser renoviert, Badezimmer und anständige Toiletten eingebaut und die gefährlichen elektrischen Leitungen erneuert wurden. Sie sagten: »Aber wir leben doch alle seit Jahren hier. Meine Mutter ist hier geboren. Meine Kinder sind hier geboren.« Solche Worte wurden an mich gerichtet, denn ich gehörte zur Mittelschicht und war demzufolge jemand, der Bescheid wusste, sich auskannte und vermutlich Einfluss hatte. Aber die Geschichte war gegen sie. Überall in diesem glücklichen Land sagten Leute, deren Herzen Tag und Nacht vor Liebe und Fürsorge für die Arbeiterklasse schlugen: »Wir holen sie alle da heraus, wir schaffen Ordnung«, und genau das haben sie getan, und vermutlich registrierten sie mit Sorge, wie ihre Schutzbefohlenen, die sich plötzlich in irgendeinem kalten grauen Turm wiederfanden, fern von ihren alten Nachbarn, wegstarben und Schlaganfälle und Herzinfarkte hatten. »Sie wollen uns einfach loswerden, das ist es, was dahintersteckt«, sagte Mrs. Pearce aus Nr. 58 . »Das spart ihnen Mühe. Sie freuen sich über jede Beerdigung.«
An dem Tag, an dem ich beschloss, Nr. 60 zu kaufen, klopfte ich an die Tür von Nr. 58 . Bei meinen Besuchen in der Straße und in dem Haus wurde ich aus Fenstern in der ganzen Charrington Street beobachtet. In Nr. 58 stützte eine große, bleiche Frau mit bleichem, gewelltem Haar Arme und Busen auf die Fensterbank und beherrschte die Straße mit ihren Blicken. Inzwischen haben uns tausend Untersuchungen über die Rolle der Matriarchinnen der Arbeiterklasse aufgeklärt, die über ihre Familien und die
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