Schritte im Schatten (German Edition)
Position den ausgegebenen Wahrheiten. Alle in der Kommunistischen Partei glaubten oder behaupteten jedenfalls, die Rosenbergs seien unschuldig. Ich hielt sie für schuldig, obwohl ich keine Ahnung davon hatte, dass sie, wie sich hinterher herausstellte, so wichtige Spione waren. Jemand hat mir die folgende Geschichte erzählt: Eine Frau, die in New York lebte, eine Kommunistin, hatte eine Anstellung bei
Time
gefunden, damals ein Objekt der Hasstiraden von Kommunisten in aller Welt, da die Zeitschrift »Lügen über die Sowjetunion verbreitete«. Ein Parteifunktionär, dem sie zufällig begegnete, forderte sie auf, Augen und Ohren offenzuhalten und die Partei über die Vorgänge bei
Time
zu informieren. Sie willigte ein, ohne sich viel dabei zu denken. Dann brach ganz plötzlich das Spionagefieber aus. Ihr kam der Gedanke, dass man auch sie für eine Spionin halten könnte. Anfangs sagte sie sich, Unsinn, es kann doch keine Spionage sein, wenn man einer legalen politischen Partei in einem demokratischen Land berichtet, was bei einer Zeitschrift vorgeht. Aber die Zeitungen mit ihrer Stimmungsmache bewiesen ihr das Gegenteil, und in Panik gab sie ihren Job auf. In dieser paranoiden Atmosphäre konnte es ganz einfach keine unschuldigen Kommunisten geben. Ich stellte mir vor, dass die Rosenbergs vermutlich gesagt hatten: »Oh ja, natürlich, wir informieren Sie, wenn irgendetwas Interessantes vorgeht.«
Ich glaubte nicht nur, dass sie schuldig waren, sondern auch, dass die Briefe, die sie aus dem Gefängnis schrieben, abgeschmackt waren, offensichtlich als Propaganda und zur Veröffentlichung in Zeitungen geschrieben. Dennoch hielten die Genossen die Briefe für zutiefst anrührend, und das waren Leute, die in jedem anderen als dem politischen Kontext durchaus imstande gewesen wären, zu erkennen, dass besagte Briefe unecht und heuchlerisch waren.
Das ist ein wichtiger, um nicht zu sagen ein grundlegender Punkt, der hier ins Blickfeld rückt. Auf der einen Seite waren wir zu jeder Art von Mord und Aufruhr bereit, nach der Devise: Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen; auf der anderen reagierten die meisten Kommunisten auf jede Anspielung, dass tatsächlich schmutzige Dinge vorgingen, mit Entrüstung.
Natürlich
war Soundso nicht wirklich ein Spion,
natürlich
nahm die Partei kein Gold von Moskau,
natürlich
war dies oder jenes keine Vertuschung. Die Partei repräsentierte die reinsten Zukunftshoffnungen der Menschheit –
unsere
Hoffnungen – und konnte einfach nichts anderes als rein sein.
Meine Einstellung zu den Rosenbergs war einfach. Sie hatten kleine Kinder und sollten nicht hingerichtet werden, auch wenn sie schuldig waren. In den meisten Briefen, die ich von Schriftstellern und Intellektuellen erhielt, stand, sie sähen nicht ein, weshalb sie eine Petition für die Rosenbergs unterschreiben sollten, während die Partei sich weigere, die Sowjetunion ihrer Verbrechen wegen zu kritisieren.
Ich begriff die Relevanz nicht: Es war moralisch falsch, Ethel und Julius Rosenberg hinzurichten. Abermals fand ich mich in der Position einer notorischen und angefeindeten Kommunistin wieder. Ich bekam hasserfüllte Briefe und anonyme Telefonanrufe. In hochgradig politisierten Zeiten lösen Themen wie das Schicksal der Rosenbergs so viel Hass und Zorn aus, dass unter all dem Lärm und der Propaganda die einfache Wahl zwischen Richtig und Falsch, die für gewöhnlich auch in diesen Fällen immer am Anfang steht, unserer Wahrnehmung zu entgleiten droht. Nach all den Jahren hat dieser Fall immer noch etwas Unerklärliches an sich. Bald nach den Rosenbergs sollte es in Großbritannien und in Amerika zahlreiche Spione geben, von denen die einen ihr Land für Geld verrieten und andere Dutzende ihrer Mitbürger in den Tod schickten. Trotzdem wurde keiner von ihnen gehenkt oder auf den elektrischen Stuhl geschickt. Das Verbrechen der Rosenbergs war wesentlich geringfügiger, und sie waren Eltern von kleinen Kindern. Einige Leute glauben, es wäre geschehen, weil sie Juden waren. Andere – und darunter auch ich – fragen sich, ob es denjenigen, die sie und ihr Tun verurteilten, nicht ein heimliches Vergnügen bereitete, sich vorzustellen, wie eine junge, rundliche Frau »gegrillt« wurde. Es gibt Themen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile, und dieses gehört dazu.
Eine andere »Pflicht«, die ich auf Joans Drängen hin auf mich nahm, war die Friedenskonferenz in Sheffield. Meine Aufgabe war es, Klinken
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