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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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putzen zu gehen und Broschüren zu verteilen, die für die Konferenz warben. Ich wurde an jeder Tür verdrossen, kühl und voller Ablehnung empfangen. Die Zeitungen schrieben, dass die Konferenz von der Sowjetunion organisiert und finanziert werde, was natürlich stimmte, aber wir stritten es entrüstet ab. Wir glaubten, was wir sagten. Es war eine wirklich unerfreuliche Erfahrung, vielleicht die unerfreulichste, die meine revolutionären Pflichten mir bescherte. Es war kalt, es war grau, niemand konnte Sheffield eine schöne Stadt nennen, und ich hatte damals die volle Wucht der Feindseligkeit der Briten gegenüber allem Kommunistischen noch nicht erlebt. [3]
     
     
    Mit Jack unternahm ich zwei Reisen nach Paris. Die kleine Erzählung
Wine
fasst eine davon zusammen. Wir saßen in einem Café am Boulevard St.-Germain und beobachteten, wie Horden von Studenten brüllend vorbeistürmten und Autos umkippten. Wogegen demonstrierten sie? Das Umkippen von Autos ist ein typisch französisches Mittel der Selbstdarstellung; Jack hatte dasselbe vor dem Krieg gesehen, und ich sah es wieder bei einem wesentlich späteren Besuch.
    Ein weiteres Ereignis, dieselbe Reise, ein anderes Café. Wir sitzen auf dem Gehsteig und trinken Kaffee. Auf uns schreitet eine wundervoll gekleidete Frau mit ihrem kleinen Hund zu. Eine
poule
, luxuriös, perfekt durchgestylt. Heutzutage sieht man in Paris keine Prostituierten mehr, die einen mit einer derartigen Ausstrahlung in Bann zu ziehen vermögen. Jack mustert sie voller Respekt und Bewunderung. Er sagt leise zu mir: »Sieh dir das an, nur die französischen …« Auf gleicher Höhe mit uns, hält sie kurz inne, lange genug, um Jack einen verächtlichen Blick zuwerfen zu können und zu sagen: »Vous êtes très mal élevé, monsieur. – Sie sind sehr ungezogen, mein Herr. Was für ein Flegel!« Und schreitet an uns vorbei.
    »Aber weshalb dann diese Aufmachung, wenn sie nicht wollen, dass man sie bemerkt?«, sagt Jack. (Dies ist ganz eindeutig eine Frage von wesentlich größerer Bedeutung.) »Und selbst wenn jemand das Geld für eine derartige Frau hätte – würde er es wagen, sie anzurühren? Es könnte ihre Frisur ruinieren.«
    Bei der zweiten Reise saßen wir in einem dunklen, kellerähnlichen Raum, in dem ein ehrfurchtsvolles Publikum, ausschließlich Franzosen, einer bleichen jungen Frau in einem langen, hochgeschlossenen schwarzen Kleid und mit tragisch schwarz umrandeten Augen zuhörte, die »Je ne regrette rien« und andere Chansons sang, die uns heute wie der Inbegriff jener Zeit vorkommen. (Dieser Stil sollte bald Mode werden.) Damals hörte es sich wie eine herausfordernde Klage über den Krieg, über die Okkupation an. Auf den Straßen von Paris stieß man wiederholt unter Kugellöchern auf einem Gehsteig auf Kränze oder Blumensträuße und eine Plakette: Hier ruht … erschossen von den Deutschen. Dann blieb man, von Mitgefühl überwältigt, stehen und ließ sich vom Sinn für das Dramatische des Ereignisses berühren.
    Wir gingen ins Theater und sahen eine Aufführung der
Mutter Courage
von Brechts Berliner Ensemble. Bisher hatte es noch kein deutsches Theater gewagt, in Paris zu gastieren. Jack meinte, es würde einen gewaltigen Aufruhr geben – Deutsch, so bald nach dem Krieg, das war ein unkalkulierbares Risiko. Wahrscheinlich würden wir Zeugen eines historischen Ereignisses werden. Schließlich war es Brecht. Die Premiere: Das Theater war restlos ausverkauft, die Leute standen zum Teil, und draußen waren viel zu viele Polizisten. Der Mangel an Zeit bei der technischen Einrichtung verzögerte den Beginn des Abends. Als das der Zeit und dem Ort so angemessene Stück über den Krieg begann, herrschte im Zuschauerraum eisiges Schweigen. Niemand rührte sich. Selbst als das Bühnenbild Probleme machte, reagierte niemand. Es gab keine Pause, weil sich alles so lange verzögert hatte. Die Stille wurde schier unerträglich: Bedeutete es, dass sie es hassten? Dass das Publikum die Bühne stürmen würde in einer Art Vergeltungsmaßnahme oder Rache? Als das Stück mit den Worten »Nehmt’s mich mit« endete, und die alte Frau, die alles verloren hat, wieder versuchte, den Soldaten zu folgen, da war so etwas wie ein Aufstöhnen von den Franzosen zu hören. Schweigen, Schweigen, keine Hand rührte sich – und dann war das Publikum auf den Beinen, rufend, schreiend, applaudierend, weinend, einander umarmend, und die Schauspieler standen auf der Bühne und weinten. Das

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