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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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alles dauerte gut zwanzig Minuten. Ungefähr zur Mitte dieser Zeitspanne hin hörte diese Demonstration auf, spontan zu sein, und wurde zu einer Demonstration eines Europa, das sich seiner selbst bewusst war. Das geschlagene und verfemte Deutschland rief Europa zu: »Nehmt’s mich mit.«
    Ich habe im Theater nie wieder etwas Derartiges erlebt, und die Erfahrung lehrte mich letzten Endes, dass ein Theaterstück seinen perfekten Anlass haben kann, als wäre es einzig und allein für diese Vorstellung geschrieben worden. Ich habe seither noch weitere Inszenierungen von
Mutter Courage
gesehen.
    Später erzählte mir der kanadische Schriftsteller Ted Allan, dass Brecht während seiner Zeit als Flüchtling in Kalifornien für die Allans den Babysitter gespielt habe. Damals bat er Ted, die gerade fertiggestellte
Mutter Courage
zu lesen, und Ted tat es und sagte zu Brecht, es sei vielversprechend, benötige aber noch dieses oder jenes. Helene Weigel war empört. »Es ist ein Meisterwerk«, sagte sie. Ted pflegte diese Geschichte zu seinen Ungunsten zu erzählen und sie auszuschmücken, wie es einem wahren Geschichtenerzähler geziemt. Seine Kritik an Brecht wurde nach diesem Vorfall krasser, eine Parodie auf die Filmemacher in Hollywood: »Sehen Sie zu, dass Sie das alte Miststück (er meinte die Weigel) loswerden. Was Sie brauchen, ist ein junges Ding. Ich hab’s – wie wär’s mit einer Nonne? Nein, eine Novizin, blutjung. Lassen Sie mich überlegen … Lana Turner … Vivien Leigh …«
    Eine Reise mit Jack führte mich einen Monat mit ihm nach Spanien. Das war die bis dato längste Reise. Einen Teil der Zeit kümmerte sich meine Mutter um Peter, Joan hatte ihn für eine Woche, den Rest verbrachte er bei den Eichners. Wir hatten nur sehr wenig Geld. Jack war kein Oberarzt, und er musste eine Familie unterhalten. Konnten wir jeder 25  Pfund aufbringen? Mit den Aufwendungen für den Wagen und die Fahrt kostete die Reise 50  Pfund. Wir aßen Brot, Wurst, grünen Paprika, Tomaten und Weintrauben. Noch heute kann ich keinen grünen Paprika riechen, dem noch die Wärme der Sonne anhaftet, ohne von Erinnerungen an diese Reise überwältigt zu werden. Spanien war damals sehr arm. Wenn man die Grenze von Frankreich her überquerte, war es, als kehrte man ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Das war vor dem Einsetzen des Tourismus. Wenn wir in Städte wie Salamanca, Ávila oder Burgos hineinfuhren, drängten Menschenmassen herbei, um die Ausländer zu sehen. Zerlumpte Jungen stritten darum, wer den Wagen bewachen durfte: ein Sixpence für einen Tag oder eine Nacht. Wenn wir tatsächlich einmal in einem billigen Restaurant aßen, drückten hungrige Kinder sich die Nasen an der Scheibe platt. Für Jack fuhren wir durch gespenstische Erinnerungen an den Spanischen Bürgerkrieg, denn er hatte in seiner Fantasie jede Schlacht durchlebt. Er hatte unter dem Verrat Großbritanniens und Frankreichs an der gewählten spanischen Regierung gelitten. Für ihn war das der Beginn des Zweiten Weltkriegs gewesen. Jetzt litt er wegen der hungrigen Kinder, die ihn an seine eigene Kindheit erinnerten. Er war wütend, weil es auf den Straßen von fetten, schwarz gekleideten Priestern und bewaffneten Polizisten in ihren schwarzen Uniformen nur so wimmelte. Spanien war damals so arm, dass es einem das Herz brach, genau wie Irland.
    Und trotzdem … Wir schliefen auf einem Feld, in Decken eingehüllt, im Freien, der Sterne wegen. Eines Morgens, es war bereits heiß, obwohl die Sonne gerade erst aufging, setzten wir uns in unseren Decken auf und sahen zwei hochgewachsene dunkle Männer, beide mit einem roten Umhang bekleidet, auf großen schwarzen Pferden an uns vorbei und über die Felder reiten, über ihnen der heiße blaue Himmel. Sie hoben ohne ein Lächeln grüßend die Hand.
    Wir aßen unser Brot und unsere Oliven und tranken Rotwein unter Olivenbäumen oder warteten die Mittagshitze in irgendeiner kleinen Kirche ab, wo ich darauf zu achten hatte, dass meine Arme und mein Kopf bedeckt waren.
    Wir besuchten einen Stierkampf. Jack weinte um die sechs geopferten Stiere. Tötet ihn, tötet ihn, murmelte er den Stieren immer wieder zu.
    In Madrid saßen Bettlerinnen mit den Füßen im Rinnstein. Wir gaben ihnen unseren Kuchen und bestellten mehr für sie.
    In der Alhambra hatten wir das Gefühl, angekommen zu sein. Sie löst in den Menschen starke Gefühle aus. Sie hassen oder vergöttern sie.
    Wir stritten sehr oft heftig miteinander. Meiner

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