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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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mir das Entscheidende entgangen. Er drängte nicht nur mich, sondern auch andere Freundinnen, sich ein eigenes Heim anzuschaffen. Er war ein Mann, der in seiner Kindheit sehr arm gewesen war, in einem Land und einer Kultur, in der materielle Sicherheit eine Schimäre war. Für einen armen Menschen ist der erste Schritt in die Sicherheit ein Dach über dem Kopf. Jahrzehnte später, als ich mich um ein paar sehr arme alte Frauen kümmerte, hörte ich immer wieder: »Ein Dach über dem Kopf.« – »Man muss zusehen, dass man das Dach über dem Kopf behält.« Jacks Rat an alle war, sich ein Haus oder eine Wohnung in einer wenig gefragten Gegend zu suchen, eine Hypothek aufzunehmen und darauf zu achten, dass genügend Platz vorhanden war, damit man ein oder zwei Zimmer vermieten und damit die Kosten abdecken konnte. Das ist das Rezept fürs Überleben in schweren Zeiten. Aber ich hatte nie so gedacht; ich war in meinem Leben so oft umgezogen, dass ich mich nicht mehr erinnern konnte, wann ich wo gelebt hatte, und der Gedanke, auf Dauer an einem Ort zu bleiben, machte mich nervös. In Joans Haus habe ich vier Jahre gewohnt, von 1950 bis 1954 .
    Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Jack hatte mich gedrängt, ein riesiges Haus am Blenheim Crescent zu kaufen, das in sehr schlechtem Zustand war und 2500  Pfund kosten sollte, was selbst für damalige Zeiten unwahrscheinlich billig war. Ich erkundigte mich bei dem Bankmanager nach einem Darlehen, aber er sagte, die Häuserpreise seien so unverhältnismäßig hoch, dass sie einfach fallen müssten, und er würde seiner Frau oder seiner Tochter nicht raten, einen so fürchterlichen Fehler zu begehen.
Experten
. (Eine Zeit lang habe ich eine Akte unter dem Titel »Experten« geführt, aber sie ist bei einem meiner Umzüge verloren gegangen.) Wenn er mir dieses Darlehen bewilligt hätte, dann hätte meine jahre-, jahrzehntelange Suche nach einem eigenen Dach über dem Kopf schon damals in meiner Anfangszeit in London ein Ende gefunden.
    Eines Tages erhielt ich einen Anruf von Pamela Hansford Johnson, die mich fragte, warum ich mich nicht um den Somerset Maugham Award beworben hätte. Er belief sich damals auf 400  Pfund, mit der Klausel, dass das Geld für eine mindestens drei Monate dauernde Reise ausgegeben werden musste. Der Grund dafür war, dass Somerset Maugham der Ansicht war, die englischen Autoren wären provinziell, würden nur England kennen und sollten reisen. Das war vor dem beginnenden Boom des Tourismus. Ich sagte, ich hätte geglaubt, dafür nicht infrage zu kommen, weil ich außerhalb des Landes aufgewachsen sei. Das macht nichts, sagte sie. Sie war immer nett zu jüngeren Autoren. (Nach meiner Erfahrung sind ältere Schriftsteller immer nett zu jüngeren.) Und so erhielt ich den Somerset Maugham Award, aber ich musste versprechen, die 400  Pfund außerhalb von Großbritannien auszugeben. Das war ungefähr so, wie wenn man, während man am Verhungern ist, einen Apfel geschenkt bekommt und angewiesen wird, ihn erst im nächsten Monat zu essen. Ich brauchte die 400  Pfund dringend. Diese Klausel Somerset Maughams hat mich eines gelehrt: Wenn man etwas verschenken will, darf man keine Bedingungen daran knüpfen. Frühere Preisträger, die gleichfalls dringend ein Dach über dem Kopf oder etwas zu essen brauchten, hatten gemogelt. Einer war für drei Monate ins Ausland gegangen und hatte damit den Buchstaben des Gesetzes entsprochen; das Geld hatte er auf die Bank gebracht und war drei Monate mit seiner Gitarre in Italien umhergezogen, hatte für sein Essen gesungen und im Freien geschlafen. Oder bei willigen Mädchen.
    Da war eine Wohnung in der Warwick Road zu haben, mit gebundener Miete, für 250  Pfund. Sie war groß genug, dass man Zimmer vermieten konnte. Ich gab diese Summe als Anzahlung einer australischen Mutter und ihrer Tochter, die nach Hause zurückkehren wollten. Ich bekam ihr gesamtes Mobiliar. Ich würde einen Monat in Paris verbringen. Peter würde für einen Monat zu den Eichners fahren, einen Monat würden Joan und meine Mutter für ihn sorgen. Danach hatte er Ferien, und ich würde mit ihm für einen Monat ans Mittelmeer fahren.
    Jack war bei mir, als der Anruf kam, dass ich den Somerset Maugham Award bekommen hatte. Ich hatte Angst, es ihm zu sagen, mit Recht, wie sich herausstellte, denn er rief sofort: »Und das war’s dann, das ist das Ende.« Es kam aus tiefster Seele, aus der dunklen, männlichen Tiefe seiner Seele. Ich war so

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