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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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schockiert, so bestürzt. Ich protestierte. Ich bettelte. Ich flehte um Gerechtigkeit, aber das war das Ende, und ich wusste es.
    »Du liebst mich nicht, das Einzige, was dich interessiert, ist deine Schreiberei.«
    Ich bin sicher, es hat in der ganzen Weltgeschichte keine Schriftstellerin gegeben, die diese Worte von ihrem Mann noch nicht zu hören bekommen hat.
    Es war ungerecht. Weit davon entfernt, wie George Sand zu sein, die sich vom Liebeslager erhob, um die ganze Nacht bei Kerzenlicht zu schreiben, während ihr Geliebter allein im Bett lag, habe ich das Schreiben nie über die Liebe oder über Jack gestellt, war für Vorschläge von seiner Seite unendlich zugänglich, habe Schreibpläne seinetwegen aufgegeben, kurzum, ich war wie Jane Austen, die unter dem Deckmantel eines – nun ja, nicht gerade eines Löschblattes schrieb, aber doch nur, wenn er nicht anwesend war oder erwartet wurde. Aber wir rühren hier an etwas Tieferes. Eine Schriftstellerin, die Liebe über die Literatur stellt, wird, wenn diese Liebe sie im Stich lässt, aus der Liebe Literatur machen.
»Und wessen Schuld ist das?«
    Ich mietete mich in einem billigen Hotel am linken Ufer der Seine ein und bemühte mich, so wenig Geld wie möglich auszugeben. Fünfundzwanzig – das ist das richtige Alter für Paris, jung, ohne vorgefasste Meinungen, sorgenfrei. Ich war Mitte dreißig. Ich verbrachte meine Tage mit Schreiben, aber ich lebte nicht das Leben einer Schriftstellerin in Paris. Ich saß in Cafés und versuchte Unterhaltungen zu verstehen, führte unbeholfene Gespräche mit Fremden, unternahm aber keinerlei Versuche, mich mit jemandem anzufreunden. Ich war deprimiert und traurig, wartete darauf, dass Jack kam und sehen konnte, dass ich keineswegs verrückte, leidenschaftliche Liebesaffären mit allen möglichen Männern hatte. Es hat keinen Sinn, heute zu sagen, ich wollte, ich hätte es getan – was für eine Vergeudung von Paris. Jack kam für ein Wochenende. Es kann kaum einen schlechter genutzten Aufenthalt in Paris geben, als dieser es war, aber er kostete sehr wenig, und darauf kam es an. Dann kam Peter mit dem Flugzeug, und wir fuhren für einen weiteren Monat hinunter nach St.-Maxime. Ich fand ein überaus billiges Zimmer im Erdgeschoss eines Hauses, groß und kühl, mit nichts darin außer zwei Matratzen auf dem Fußboden, zwei harten Stühlen und einer elektrischen Kochplatte. Überall wimmelte es von kleinen schwarzen Ameisen. Ich habe mich nie in meinem Leben mehr gelangweilt, aber Peter genoss natürlich jede Sekunde, weil wir von sechs oder sieben Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang am Strand waren. Wir hielten Picknicks in unserem Zimmer ab. Da waren andere Kinder, aber sie waren Franzosen und interessierten sich nicht für einen englischen Jungen. Die oft nachgedruckte und in Anthologien aufgenommene Geschichte
Durch den Tunnel
beruht auf diesen Ferien, man könnte also sagen, sie haben sich bezahlt gemacht. Außerdem eine bittere kleine Geschichte unter dem Titel
Vergnügen
über die Kunst, sich zu amüsieren.
    Nach London zurückgekehrt, war es Zeit für den Umzug. Mrs. Sussman unterstützte mich. Das hat sie immer getan. Ich weiß, welches Glück ich hatte, sie zu finden, nachdem ich Therapeuten gesehen habe, die mehr Schaden als Nutzen stifteten. Als ich ihr sagte, dass ich mir wegen Jack Sorgen machte, den ich immer seltener sah, gerade jetzt, wo ich Vorbereitungen traf, ein Heim mit ihm zu teilen, sagte sie: »Aber Sie
sind
mit ihm verheiratet.« Ich will mich hier nicht auf Reflexionen darüber einlassen, was wirklich Verheiratetsein bedeutet. Aber wahrscheinlich war er mit mehr als einer seiner Freundinnen »verheiratet«, von seiner Frau ganz abgesehen. Wie ich hatte er ein Talent für Intimität. Die Shona sagen, dass es Jahre braucht, bis ein Mann und eine Frau wirklich verheiratet sind. Ihrer Kultur entsprechend muss das bedeuten, innerhalb eines Rahmenwerks von Polygamie.
    Dass ich zwei- oder dreimal wöchentlich zu Mrs. Sussman ging, was ich ungefähr drei Jahre lang tat, hat mich gerettet. Das wusste ich bereits damals, es brauchte nicht das Vergehen der Zeit, um mir das zu sagen. Sie war eine Freundin. Wenn ich eine gute, ältere Freundin gehabt hätte, hätte ich Mrs. Sussman vielleicht nicht gebraucht. Die Ideologien, Freud, Jung und so weiter, waren mir gleichgültig. Wenn sie damit anfing, anhand der jeweiligen Glaubensrichtung zu »interpretieren«, dann wartete ich, bis sie damit fertig war.

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