Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
zwischen Hunderten von Küchentapeten wählen kann, also war es im Grunde keine so große Überraschung. Aber trotzdem deprimierend.
    Ich hätte mir diese Wohnung nicht leisten können, wenn ich nicht mindestens ein Zimmer vermietet hätte, jedenfalls in der Anfangszeit. Die Miete war sehr niedrig, aber heute könnte niemand solche Zimmer vermieten, nicht einmal in der Provinz. Sie enthielten kaum hinreichende Betten, Kommoden und Kleiderschränke: gestrichene Dielen, alles hell und billig. Bad und Toilette wurden gemeinsam benutzt. Peter hatte eines der großen Zimmer. Ich hatte eine ganze Reihe von Mietern: Ich war in die Welt der Verlorenen, der Einsamen, der Eigenbrötler, der Heimatlosen, die in Großstädten von einem möblierten Zimmer zum nächsten driften, eingetreten. Es war eine unerfreuliche Erfahrung, und die Tatsache, dass ich eine relativ junge, alleinstehende Frau war, machte die Sache nicht besser. Mein höchstes gesellschaftliches Niveau als Wirtin erreichte ich, als zwei niederrangige Diplomaten der französischen Botschaft eines der großen und eines der kleinen Zimmer mieteten. Sie waren reizend, liebenswürdig auf die französische Von-Mann-zu-Frau-Art, und das tat meinem Ego gut. Sie brachten mir Blumen mit, erboten sich, alle möglichen kleinen Arbeiten zu erledigen, die mir schwerfielen, wie das Bewegen schwerer Möbelstücke. Sie waren gut zu Peter. Sie waren Faschisten – echte Faschisten. Dies war die Zeit, in der die Franzosen ihre letzten Rückzugsgefechte in Vietnam austrugen, und die Vietnamesen waren verängstigte kleine braune »Karnickel«. Die beiden gut aussehenden jungen Männer inszenierten eine »Karnickeljagd« durch alle vier Räume im Obergeschoss und jagten Peter damit eine Heidenangst ein, weil sie gewalttätig und bösartig waren, obwohl sie es als Scherz betrachteten. Sie waren Antisemiten auf eine konventionelle Art. Sie beklagten sich über die Schwarzen auf den Straßen. »Die sollten dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind.« Was ich in der Zeit, in der ich Zimmer vermietete, erleben musste, war so deprimierend, dass ich nach ein paar Monaten beschloss, es bleiben zu lassen und zu versuchen, von dem zu leben, was hereinkam, in der Hoffnung, dass es ausreichen würde. Es reichte aus, mehr oder weniger.
    Peter war nicht glücklich. Er war in seiner ersten Schule gut mitgekommen, es hatte ihm dort gefallen, jedenfalls hatte es den Anschein gehabt. Und als es an der Zeit war, seine nächste Schule zu wählen, dachte ich, weshalb nicht bei dem bleiben, was bisher so gut funktioniert hat? Der größte Teil der Kinder in der Grundschule wechselte in die dazugehörige Oberstufe über, die ganz in der Nähe lag, am Notting Hill Gate. Peter fühlte sich dort vom ersten Tag an unwohl, er wurde störrisch und rutschte ans untere Ende seiner Klasse ab. Dann sagte er, der Rektor habe ihn geschlagen. Vorher hatte ihn nie jemand auch nur angerührt. Ich suchte den Rektor auf, der ein widerwärtiger kleiner Tyrann war. Er sagte: »Wer die Rute spart, verdirbt das Kind«, und nannte Peter »Lessing the Blessing«. Ich wusste, dass Peter – durchaus nicht zum letzten Mal in seinem Leben – dafür bestraft wurde, dass er mein Sohn war. Es kommt oft vor, dass den Kindern von Erfolgreichen das Leben schwer gemacht wird. Der Direktor machte von Neid geprägte Bemerkungen über meine Bücher. Das schlimmste an diesem Mann war seine kalte, sarkastische, schneidende Stimme, die Art von Stimme, bei der ich, als ich ein Kind war, regelrecht zusammenschrumpfte. Ich nahm Peter von der Schule. Zwei weitere gescheiterte Versuche, für Peter ein geeignetes schulisches Unterkommen zu finden, schlossen sich an. Ich glaube, dass dieses überaus gesellige Kind darunter litt, dass es einen so großen Teil der Zeit nur mit mir verbrachte – Peter schlief noch immer erst um neun oder zehn Uhr ein, wachte immer noch um fünf oder sechs Uhr auf. Er ging dann auf eine Schule, in der er die Woche über auch schlief, und kam nur zum Wochenende nach Hause. Das hasste er auch. Er hasste die Warwick Road ebenso, wie ich es tat. In der Zeit, in der ich Mieter hatte, war er wütend auf sie und betrachtete sie mit Argwohn. Er war einen Haushalt mit einer lebhaften Familienatmosphäre gewohnt – den von Joan –, und jetzt musste er leise sein, damit er diese Fremden nicht störte, die in seinem Heim lebten. Ich machte einen Fehler und weigerte mich, ihm einen Fernseher zu kaufen, obwohl er um einen

Weitere Kostenlose Bücher