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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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wieder vorgekommen. Ich war über mich selbst schockiert, dass ich ihm solche Qualen bereitete, denn das Ganze tat ihm sehr weh.
     
    Und nun noch einmal zu meiner Mutter: Die grausame Geschichte verdient eine genauere Betrachtung. Sie war vier Jahre in London gewesen, diesem Elysium, von dem sie während all der Jahre ihres Exils geträumt hatte, und die hatte sie in einem schäbigen kleinen Haus verbracht, wo sie sich um einen alten Mann kümmerte, der nicht einmal mit ihr, sondern nur mit meinem Vater verwandt war. Sie war des Öfteren in Joans Haus gekommen, um bei Peter zu sein, während ich verreist war. Die ganze Zeit sagte sie immer: »Alles, was ich will, ist, meinen Kindern von Nutzen sein.« Als ich Joan verließ, um eine eigene Wohnung zu beziehen, schlug sie – aber ohne viel Hoffnung – vor, dass sie dort mit einziehen könnte. »Du brauchst Hilfe mit Peter.« Die brauchte ich dringend, aber nicht von ihr. Sie suchte Mrs. Sussman auf – sie wollte, dass sie dafür sorgte, dass ich Vernunft annahm. Mrs. Sussman erklärte mit einer Vielzahl konventioneller Phrasen, dass junge Leute ihr eigenes Leben leben müssten. Hinterher beklagte sich meine Mutter, dass Mrs. Sussman Katholikin sei. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie hätte sagen können, dass Mrs. Sussman Jüdin war, dass sie keine Engländerin war, der Inbegriff der kontinental-europäischen Kultur, dass sie mich den exotischen, unbritischen Einflüssen von Jung und Freud aussetzte. Aber dass sie Katholikin war? Ich wusste, dass ich dazu nichts sagen konnte, auf das sie reagieren oder das sie auch nur hören würde.
    Zu allem Übel fand Peter die Eichners, dieses Paradies für Kinder, wesentlich attraktiver als Ausflüge mit meiner Mutter. Ich versuchte ihr beizubringen, dass es ganz natürlich war, wenn sich ein sehr lebhafter neunjähriger Junge in einem Haus voller Kinder verschiedenen Alters wohler fühlte als in Gesellschaft Erwachsener.
    »Wer sind die Eichners?«
    »Sie haben vier eigene Kinder, und in den Ferien nehmen sie andere Kinder auf.«
    »Ja, aber wer sind sie?«
    »Sie sind Österreicher. Sie sind als Flüchtlinge hierhergekommen.« Nie hatte ich von meinen Eltern auch nur die leiseste Andeutung von Antisemitismus gehört. Als sie sagte: »Aber sie sind Ausländer«, meinte sie damit nicht Juden. »Sie sind doch nicht etwa Katholiken, oder?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe sie nie gefragt.«
    Weshalb Katholiken? Lag es darin, dass Emily Maude Mc- Veagh in ihrer Kindheit von Katholiken geängstigt worden war, weil ihre Stiefmutter die Tochter eines nicht zur anglikanischen Kirche gehörenden Geistlichen gewesen war? Aber wenn Katholiken so schrecklich waren, weshalb hatte sie dann ihre kostbare Tochter in ein Dominikaner-Konvent geschickt? Das alles war unbegreiflich, erbitternd –
unmöglich
 –, wie gewöhnlich.
    Als sie auf einer ihrer Reisen an die Südküste Peter hatte taufen lassen, sagte sie es mir erst hinterher. Trotzig, aber mit der Überzeugung, es sei rechtens. Es war nicht die Taufe, über die ich wütend war, die, soweit es mich betraf, fast so etwas wie ein heidnisches Ritual war, sondern die Tatsache, dass das, was ich dachte, wie üblich nicht zählte. »Und nun musst du mit ihm in die Kirche gehen«, befahl sie. Er ging tatsächlich in die Kirche, da sich herausstellte, dass er eine sehr schöne Stimme hatte und er Aufnahme in den Kirchenchor fand. »Und du könntest Joan bitten, seine Patin zu sein.«
    »Könnte sie Peter eine bessere Freundin sein, als sie es ohnehin schon ist, wenn sie seine Patin wäre?«
    Meine Mutter besuchte mich in meiner Wohnung, kurz nachdem ich dort eingezogen war. Sie stand da mit ihrem guten Hut mit seinem kleinen Schleier, den guten Handschuhen, ihrer Fuchsstola, ihren auf Hochglanz polierten Schuhen und betrachtete mein hässliches Mobiliar.
    »Du hast das Zeug doch nicht etwa gekauft?«
    »Nein, ich habe es mit der Wohnung übernommen. Wie du weißt, sind die Vorbesitzer nach Australien zurückgekehrt.«
    »Du solltest meine Möbel haben. Ich lasse sie aus dem Lager holen.«
    Als ihre Stiefmutter starb, hatte meine Mutter die Möbel aus dem viktorianischen Haus einlagern lassen und Jahr für Jahr dafür gezahlt, sogar dann, wenn kein Geld für die Lebensmittelrechnung da war. Wenn sie und mein Vater endlich »von der Farm herunter« kamen und nach England zurückkehrten, würden sie vielleicht anfangs keinen Ort zum Leben haben, aber wenigstens waren da die

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