Schritte im Schatten (German Edition)
bettelte. Ich dachte, die Comics, in denen er jeden Tag stundenlang las, wären schon schlimm genug. Also gewöhnte er sich an, nach der Schule zu Freunden zu gehen, um bei ihnen fernzusehen. Auch in praktisch allen anderen Belangen tobte zwischen uns ein Willenskampf. Ich wusste, was er brauchte, war ein Vater. Als Gottfried ihn fallen ließ, einfach so, und er so unglücklich war, legte ich es darauf an, ein Bild von Gottfried als tapfere, heroische Figur zu erschaffen, das Bild eines Mannes, der für die Armen und Entrechteten kämpfte. Das war alles andere als die Wahrheit, aber ich dachte, es wäre schlecht für Peter, wenn er zu viel über die Unzulänglichkeiten des Kommunismus wüsste. Ich dachte mir Geschichten aus, wie er – Peter – und Gottfried mit allen möglichen schwierigen und gefährlichen Situationen fertig wurden, vom Lösen von Unterkunftsproblemen in Slumgebieten bis hin zum Kampf gegen Hauswirte (dies war die Zeit des gemeinen Hauswirts Rachman, dessen Name noch heute ein Synonym für die niederträchtige Ausbeutung von Mietern ist) oder dem Aufreiben ganzer Divisionen von Nazi-Soldaten. Als Peter später, als Teenager, Gottfried besuchte, musste er sich anhören, wie sein Vater mich in jeder Hinsicht schlechtmachte, und er erfuhr, das er das schon seit Jahren getan hatte. Es kommt nicht selten vor, dass ein Partner in einer gescheiterten Ehe, gewöhnlich die Frau, aber nicht immer, ein »positives« und schmeichelhaftes Bild des Abwesenden zeichnet, nur um dann im Nachhinein feststellen zu müssen, dass man den Kindern gegenüber als Schurke hingestellt wird.
Wie ließ sich diese miserable Situation verbessern? Was uns beide rettete, waren die Eichners in East Grinstead, in ihrem alten Farmhaus zwischen den Felsen, und die anderen Kinder dort, eine wirklich traditionelle Familie, Vater, Mutter und Kinder, und das trug einiges dazu bei, dass ich mein Gleichgewicht wiederfand. Ich war eine Frau, die ohne Ehemann lebte – wesentlich ungewöhnlicher als heute –, eine unkonventionelle Mutter, eine schreibende Mutter, und Peter war in dem Alter, in dem Kinder nichts mehr lieben als Respektabilität und das Normale. Die Eichners machten mit ihren eigenen und den zu Besuch weilenden Kindern alle möglichen Reisen innerhalb Großbritanniens und auch ins Ausland, nach Frankreich und Spanien, und Peter fuhr mit ihnen mit.
Bei den Eichners hatte Peter teil an einem lehrreichen Versuch. Fred Eichner war eine Art Genie. Er hatte etwas erfunden, das Schaumstoff genannt wurde, in zweifacher Gestalt. Die eine waren Blöcke voll winziger Bläschen, wie Schwämme, die andere Kügelchen in verschiedenen Größen. Er besaß eine kleine Fabrik. Er glaubte, dieses Zeug könnte als Verpackungsmaterial von Floristen verwendet werden. Während er mit einer Karawane von Erwachsenen und Kindern durchs Land reiste, versuchte Fred Eichner immer wieder, eine Firma, eine Bank oder einen vorausschauenden Finanzier zu finden, die ihm eine Finanzierung seiner Idee in großem Stil ermöglichten, aber es gelang ihm nicht. Vielleicht hat er am Ende doch noch Erfolg gehabt.
Der älteste Sohn, Michael Eichner, war Peters Freund; er kam nach London, und sie zogen gemeinsam herum. In den Ferien verreiste ich mit Peter, einmal für einen Monat im Sommer nach Spanien, und er war begeistert; ich entschieden weniger.
Eine Zeit lang lebte ein Junge in Peters Alter in der Wohnung im Erdgeschoss. Die Eltern hofften, dass die Kinder sich anfreunden würden, wie Eltern es oft tun, aber sie mochten sich nicht. Eines Tages passierte Folgendes: Ich hatte ein Briefmarkenalbum beschafft, wir kauften Marken, er tauschte Marken. Der kleine Junge von unten nahm das Album und stahl die Hälfte der Marken. Peter war auf diese hitzige, wütende Art von Kindern todunglücklich, die das Gefühl haben, ein Opfer der Umstände geworden zu sein. Ich forderte die Mutter auf, dafür zu sorgen, dass Peter die Briefmarken zurückbekam, aber sie sagte nur: »Armer kleiner Junge« – womit sie ihren Sohn meinte. Peter war von der Ungerechtigkeit verletzt, und ich verspürte eine nur allzu vertraute, kalte Entmutigung – dass die Dinge für ihn so oft schiefliefen und ich sie nicht wieder geraderücken konnte.
Ich will dieses Thema hier auf sich beruhen lassen. Frauen, die einen Sohn ohne einen Vater aufgezogen haben, wissen, wie schwierig das ist, und diejenigen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben, haben keine Ahnung davon. Es ist einfach,
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