Schritte im Schatten (German Edition)
ein einziges dramatisches Ereignis zu beschreiben – das Eintreffen eines Besuchers mit einem Geschenk für Peter von seinem Vater, einem Wal aus Plastik zum Beispiel, aber da war kein Wort von seinem Vater, kein Brief, nichts. Man kann beschreiben, wie schmerzlich das war, die Fassungslosigkeit des Kindes und der Zorn der Mutter, aber nicht die alltägliche Strapaze, das zu sein, was unmöglich ist: nicht nur eine Mutter, sondern auch ein Vater.
Als Jack mich endgültig verließ, waren wir in Paris. Er ging an ein Krankenhaus irgendwo im Ausland. Ich wusste, dass er das so arrangiert hatte, um mit mir zu brechen. Wir wussten beide, dass dies das Ende war, sagten aber Dinge wie: »Schließlich ist es ja nur für ein halbes Jahr.« Er war unterwegs zum Flughafen, begleitete mich aber zum Fahrkartenschalter am Bahnhof, wo ich meine Rückfahrkarte nach London kaufen wollte. Wir umarmten uns. Er ging. Ich stand wie gelähmt da, die Tränen flossen. Der junge Mann am Schalterfenster erfasste voller Mitgefühl meine Situation. Nachdem er gesehen hatte, dass ich eine Schachtel Gitanes in der Hand hielt, eilte er aus seinem kleinen Büro heraus, steckte mir eine Zigarette in den Mund, gab mir Feuer, schnalzte mit der Zunge, »tsk, tsk«, klopfte mir auf die Schulter, sagte mehrere Male »Pauvre petite« und eilte wieder nach drinnen, um einen Kunden zu bedienen. Als ich endlich imstande war, meine Fahrkarte zu lösen, sagte er: Liebe ist eine sehr ernste Angelegenheit, aber nur Mut, Sie werden bald einen anderen Freund finden.
Es war sehr schlimm. Die »Affäre«, die vier Jahre gedauert hatte, war im Grunde eine Ehe gewesen, in stärkerem Maße als meine beiden gesetzlichen Ehen. Damals war ich unfertig und unreif gewesen und mit nicht mehr als einem kleinen Teil meiner Persönlichkeit involviert. Aber mit diesem Mann war es alles oder nichts gewesen. Wie absurd das war … er hatte nie gesagt, dass er mich heiraten würde, nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Und dennoch hatte ich mich ihm rückhaltlos hingegeben. Er war die ernsthafteste Liebe meines Lebens gewesen. Er begriff so wenig, was er für mich bedeutet hatte, dass er später auftauchte, dreimal insgesamt, das letzte Mal in den Siebzigern, und sagte, da wir uns so gut verstanden hätten, sollten wir neu beginnen. Und das mit einem Blick aufs Bett. Das war, wo wir uns am besten verstanden hatten … Zugegeben, aber doch sicher auch in anderer Hinsicht? In
Unter der Haut
habe ich davon erzählt, dass ich zwei kleine Kinder verlassen habe, und wurde dafür kritisiert, weil ich mich nicht darüber ausgelassen habe, was ich dabei empfand. Für mich schien es offensichtlich, dass ich unglücklich gewesen sein musste und dass jeder intelligente Leser das auch ohne rituelles An-die-Brust-Schlagen verstehen würde. Und jetzt fühlte ich dasselbe. Es gibt niemanden, der nicht irgendwann unter der Liebe gelitten hätte, und deshalb sollte es genügen, wenn ich sage, dass es schlimm für mich war, von diesem Mann verlassen zu werden. Es war das Schlimmste. Ich war lange Zeit unglücklich. Männer verliebten sich in mich, aber es nutzte nichts. Sie bedeuteten mir nichts. Und dann tat ich etwas Törichtes, das auf irrigen Überlegungen beruhte. Meine beiden Ehen hielt ich nicht für eine Sache eigener Entschlüsse: Die erste war ich wegen des herannahenden Krieges (immer ein guter Ehestifter) eingegangen, die zweite war eine politische Ehe. Meine große Liebe, die zu Jack, hatte traurig geendet. Weshalb tat ich nicht das, was Leute seit Jahrhunderten getan haben – suchte mir einen Mann nach seiner Verträglichkeit aus, der einen ähnlichen Geschmack und ähnliche Ideen hatte wie ich (zu dieser Zeit gehörte dazu auch die politische Einstellung). Unter den an mir interessierten Männern war einer, der meinen Ansprüchen nicht besser genügt haben könnte und außerdem sehr nett zu Peter war, der ihn mochte. Wir hatten eine Affäre. Das war ein schlimmes Erlebnis für ihn. Er liebte mich, aber ernsthaft, und ich musste der Sache ein Ende bereiten. Ich fühlte mich von ihm erstickt. Wir hatten uns getroffen, uns gut unterhalten, Spaziergänge gemacht, zusammen gegessen, ich fand ihn sehr nett – und dann kam es, ein unwiderstehliches Verlangen, die Flucht zu ergreifen, von ihm loszukommen, und im Bett war es dasselbe, obwohl da, äußerlich betrachtet, alles in Ordnung war. Ich konnte nicht atmen. Das war mir noch nie zuvor passiert, und es ist auch seither nicht
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